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Im Gebet Mut und Kraft gewinnen

Nicht das übernatürliche Ereignis ist das größte Wunder dieser Geschichte. Sondern dass die Gemeinde im Gebet Mut und Kraft gewinnt. Dass sie durch den Tod des Jakobus nicht verzweifeln, und dass sie sich überschwenglich freuen können über die Rettung des Petrus. Dass sie nicht aus Angst vor dem mächtigen Herodes ihren Glauben verraten, der ja doch dem Allmächtigen unterworfen ist.

Im Gebet Kraft und Mut gewinnen: Das Bild zeigt gefaltete Hände
Im Gebet Kraft und Mut gewinnen – ein großes Wunder! (Bild: Jenny FriedrichsPixabay)

Gottesdienst am 16. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 1982 in Beienheim und Heuchelheim
Lieder: 196, 1-3 / 287, 1-3 / 276, 7-9 / 283, 1
Spruch (1. Petrus 5, 7):

Alle eure Sorge werft auf [Gott]; denn er sorgt für euch

Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott unserem Vater und Jesus Christus unserem Herrn. Amen.

Wir hören als Lesung ein Kapitel der Apostelgeschichte, das Kapitel 12, 1-24, über das ich nachher meine Predigt halte. Wir wollen es im Sitzen anhören, da es ziemlich lang ist. Es liest sich zum Teil ebenso spannend oder auch verwirrend wie Nachrichten dieser Tage, ob sie nun aus dem Nahen Osten, aus Mittelamerika oder aus unserem eigenen Land stammen:

1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln.

2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.

3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote.

4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen.

5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.

7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.

8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!

9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen.

10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel.

11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.

12 Und als er sich besonnen hatte, ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo viele beieinander waren und beteten.

13 Als er aber an das Hoftor klopfte, kam eine Magd mit Namen Rhode, um zu hören, wer da wäre.

14 Und als sie die Stimme des Petrus erkannte, tat sie vor Freude das Tor nicht auf, lief hinein und verkündete, Petrus stünde vor dem Tor.

15 Sie aber sprachen zu ihr: Du bist von Sinnen. Doch sie bestand darauf, es wäre so. Da sprachen sie: Es ist sein Engel.

16 Petrus aber klopfte weiter an. Als sie nun aufmachten, sahen sie ihn und entsetzten sich.

17 Er aber winkte ihnen mit der Hand, dass sie schweigen sollten, und erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis geführt hatte, und sprach: Verkündet dies dem Jakobus und den Brüdern. Dann ging er hinaus und zog an einen andern Ort.

18 Als es aber Tag wurde, entstand eine nicht geringe Verwirrung unter den Soldaten, was wohl mit Petrus geschehen sei.

19 Als aber Herodes ihn holen lassen wollte und ihn nicht fand, verhörte er die Wachen und ließ sie abführen. Dann zog er von Judäa hinab nach Cäsarea und blieb dort eine Zeitlang.

20 Er war aber zornig auf die Einwohner von Tyrus und Sidon. Sie aber kamen einmütig zu ihm und überredeten Blastus, den Kämmerer des Königs, und baten um Frieden, weil ihr Land seine Nahrung aus dem Land des Königs bekam.

21 Und an einem festgesetzten Tag legte Herodes das königliche Gewand an, setzte sich auf den Thron und hielt eine Rede an sie.

22 Das Volk aber rief ihm zu: Das ist Gottes Stimme und nicht die eines Menschen!

23 Alsbald schlug ihn der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab. Und von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf.

24 Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.

Liebe Gemeinde!

Wie gesagt, das war eine weit ausholende Geschichte, zum Teil in kleinsten Einzelheiten erzählt, zum Teil massiv in den Bereich des Übernatürlichen vorstoßend. Die Dienerin Rhode, die sich so sehr freut, dass sie Petrus vor dem Haus vergisst, wird ebenso erwähnt wie der mächtige Gegner der Christen, Herodes Agrippa I., der sich am Schluss als gar nicht mehr so mächtig erweist. Was kann diese Geschichte für unseren Glauben bedeuten?

Die Urchristengemeinde ist in einer Lage, in der sie auf Leben und Tod herausgefordert ist. Für das Bestehen solcher Herausforderungen hat Lukas seine Geschichte aufgeschrieben. Sind wir in solch einer Lage? Sind wir auf Leben und Tod herausgefordert? Geht es uns in unserem Glauben um Fragen, bei denen es um Leben oder Tod geht?

Ich denke, dass wir unseren Glauben und unsere Lage als Christen in unserem Land kaum so sehen. Wir beklagen eher, dass der christliche Glaube und der Einfluss der Kirche in unserem Land immer bedeutungsloser werden, vor allem für die jungen Menschen. Wir versprechen uns von der Kirche vielleicht einige zusätzliche Angebote, die unser Leben bereichern können, die für die meisten aber auch fehlen könnten. Gott sehen wir als einen, der doch eigentlich alles Leid in der Welt verhindern müsste – dann könnten wir vielleicht alle von Herzen glauben.

Und das sagen wir in einem Land, das von schlimmerem Leid, von Hunger und Krieg, seit einigen Jahrzehnten verschont ist. Vielleicht haben Sie vorgestern abend die NDR-Talkshow gesehen, im 3. Fernsehprogramm, wo eine Teilnehmerin sinngemäß meinte: Was gehen uns die vietnamesischen Flüchtlinge an, für deren Leid sind wir doch nicht verantwortlich. Wir würden es vielleicht nicht alle so deutlich sagen, aber die meisten unter uns müssen es sich wohl doch eingestehen, mich eingeschlossen: unser Wohlstand, unser Wohlergehen, unsere soziale Sicherheit trotz Krise – sie lassen uns leicht vergessen, dass auch Menschen in unserem Land einmal auf Care-Pakete angewiesen waren und dass andere in anderen Ländern heute ebenso auf unsere Hilfe warten.

Also: unsere Situation in Deutschland scheint auf den ersten Blick keine Herausforderung auf Leben oder Tod zu sein. Wir sind aber herausgefordert, uns umzusehen in der Welt, die uns heute durch Fernsehen und Zeitungen naherückt: wo ist da unser Einsatz oder unser Gebet gefordert?

Ich denke an einen Bericht, den ich gestern las, den einer meiner ehemaligen Theologieprofessoren aus Mainz geschrieben hat. Er war im Juli im belagerten Beirut und hat von seiner Trauer und seiner Enttäuschung über das von der israelischen Führung angerichtete Elend berichtet, aber auch von der Freundschaft, die dort in Beirut zwischen dort lebenden Christen, Muslims und Juden bestand. Ulrich Schoen schreibt: „Die Belagerung Beiruts hat nichts mit Religion zu tun. Alle drei Arten von Glaubenden sind hier eingeschlossen.“ Hoffnungslosigkeit, einseitige Verurteilung eines Volkes, nicht mehr genau Hinsehen bei so vielen grauenhaften Ereignissen – sind das die einzigen Möglichkeiten, die wir gegenüber den Ereignissen im Libanon haben?

Oder: der Präsident des Diakonischen Werkes, Theodor Schober, hat in einem Bericht über die mittelamerikanischen Länder El Salvador und einige andere tief betroffen von den unzähligen Morden geschrieben, die dort geschehen, z. T. um den Besitz von einigen reichen Familien zu schützen, z. T. um den armen Bevölkerungsschichten gerechtere Zustände zu erkämpfen. Viele Menschen fliehen, um nicht getötet zu werden, und Theodor Schober hat gemeint: es dürfte eigentlich kein Gottesdienst, keine Kirchenvorstandssitzung und keine Zusammenkunft in unseren Gemeinden vorübergehen, in der wir nicht für den Frieden und die Gerechtigkeit in Mittelamerika gebetet haben.

Doch auch unsere Lage hier in Deutschland ist eine Lage auf Leben und Tod. Nur merken wir es nicht so rasch. Der Bund der Reformierten Kirchen hat bezüglich der Atombewaffnung darauf hingewiesen. Die Parteien in Bonn sind mehr auf Machterhalt oder Machterweb aus als darauf, unsere lebensbedrohenden Probleme zu lösen: das Sterben unserer Wälder zu verhindern, der Bedrohung durch immer mehr Vernichtungswaffen Einhalt zu gebieten. Viele nutzen gar die Krise, um ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen – auf Kosten der Ärmeren, die wieder durchs sogenannte soziale Netz fallen können. Das Lebensbedrohende daran ist, dass das Vertrauen in unsere Politiker mehr und mehr schwindet, und dass der Boden für immer gewissenlosere Machthaber wieder einmal gebahnt werden könnte.

Liebe Gemeinde, das sind wirklich alles Herausforderungen auch für uns, für die Kirche. Wir alle sind Kirche, sind christliche Gemeinde, wir sind dem Leben verpflichtet und nicht einer Untergangsstimmung, wir sind gerufen, uns die Welt so anzuschauen, wie sie ist, und – wenn es sein muss – uns auch einzusetzen, wo wir können. Wie – das muss jeder von uns selbst entscheiden. Und nicht jeder muss alles tun. Aber etwas können wir alle tun – das können wir von der urchristlichen Gemeinde lernen.

Wie war das denn in Jerusalem bei den ersten Christen? Nicht viel anders als heute im belagerten Beirut. Die Christen damals sind praktisch eingeschlossen in ihren Häusern. Sie wagen es abends nicht, auf die Straße zu gehen, sie verrammeln ihre Türen und Fenster, sie hören die Nachrichten von der Verfolgung ihrer Glaubensgeschwister, sie hören, wie einer der Apostel, Jakobus, hingerichtet wird, und dann, als weitere Schreckensnachricht, dass auch Petrus ins Gefängnis gesteckt worden ist.

Und was tun sie? Vielleicht hat einer gemeint: „Es hat ja doch keinen Sinn mehr, sich weiter zur Gemeinde zu halten. Wo ist denn Gott? Sollten wir ihn nicht lieber vergessen?“ Ein anderer hat vielleicht vorgeschlagen: „Jetzt ist es genug, wir müssen uns wehren. Wir müssen das Schwert ergreifen, sonst sind wir ganz verloren!“ Ich stelle mir vor, dass in dieser urchristlichen Gemeinde Unruhe aufkommt, Unsicherheit und Hilflosigkeit.

Und dann wird noch einer aufgestanden sein, der sonst nicht viel sagt. Einer, der erst ein paar mal ansetzen muss zu reden, ehe er überhaupt gehört wird. Der sagt vielleicht: „So von Gewalt zu reden oder so unsicher herumzusitzen, das ist doch nicht unsere Art. Denkt doch an Jesus! Der hat auch nicht aufgegeben, als alle gegen ihn waren, auch nicht als sie ihn gefangengenommen haben. Und dem Petrus, der jetzt gefangen sitzt, dem hat er das Schwert verboten damals! Erinnert ihr euch nicht an die Geschichte? Wie er dem Soldaten das abgeschnittene Ohr heilte? Nein, unser Weg ist ein anderer. Wir müssen einen friedlichen Weg finden. Und der einzige friedliche Weg, den wir noch haben, ist das Gebet. Wir können um Hilfe beten für Petrus, das ist die einzige Waffe, die wir als Christen benutzen dürfen!“ So redet er. Und die anderen sind vielleicht erstaunt: Beten? Ja, meinst du denn, das hilft? Beten? Ja, müssen wir denn nicht selber etwas tun?

Von dieser ganzen Auseinandersetzung findet sich im Text des Lukas nur der eine Satz: „Während Petrus im Gefängnis war, betete die Gemeinde Tag und Nacht für ihn zu Gott.“ Der eine hat sich durchgesetzt. Die Gemeinde hat sich zum Gebet gefunden. Sie bitten alle Gott um Hilfe. Voll Angst sicher die einen noch. Und kleinmütig manch ein anderer. Und wieder andere mit dem Gefühl: Schaden kann‘s ja nicht, aber wird es helfen? Aber sie beten: „Gott, steh du uns bei. Und unserem Bruder Petrus. Hilf du ihm, wir wissen nicht mehr weiter.“

Die Gemeinde hat damals beides erlebt: im Falle des Jakobus, dass ihr Gebetswunsch nicht erfüllt wurde, im Falle des Petrus, dass plötzlich einer vor der Tür steht, einige Tage später, der behauptet, er sei Petrus. Und da können sie‘s gar nicht glauben. Die Dienerin lässt ihn vor Freude gar vor der Tür stehen. Und die anderen hatten ihn für sein eigenes Gespenst oder für seinen Schutzengel. Doch er ist‘s, und sie danken für dieses Wunder Gottes.

Doch nicht das übernatürliche Ereignis ist das größte Wunder dieser Geschichte. Sondern dass die Gemeinde im Gebet Mut und Kraft gewinnt. Dass sie durch den Tod des Jakobus nicht verzweifeln, und dass sie sich überschwenglich freuen können über die Rettung des Petrus. Dass sie nicht aus Angst vor dem mächtigen Herodes ihren Glauben verraten, der ja, wie sich am Schluss zeigt, doch Gott, dem Allmächtigen unterworfen ist.

Um dieses Wunder geht es auch bei uns: Dass wir wieder das Beten lernen für andere und für uns. Wenn wir über Libanon nachdenken. Wenn wir an Mittelamerika denken. Wenn wir an den bedrohten Frieden denken. Wenn wir an ausweglos scheinende Lebenslagen in unseren Familien denken. Wenn wir über unseren alltäglichen Schwierigkeiten den Mut verlieren. Wenn wir durch Krankheit mürbe gemacht werden. Wenn wir uns so schwer tun, Fehler einzusehen oder aus Fehlern zu lernen. Wir haben immer eine große Möglichkeit: zu Gott zu beten, wenn möglich gemeinsam. Das ist mehr, als wir oft meinen, wenn wir sagen: wir können nichts tun.

Und dann kann es sein, dass wir in diesem Gebet spüren: wir sind nicht allein. Wir sind verbunden mit Gott, der der Vater aller Menschen ist, in Reichelsheim und Heuchelheim und in Jerusalem und in Beirut, in El Salvador und in Vietnam. Wir sind verbunden mit allen Menschen in Not. Wir sind auch verbunden mit Menschen, die wir in unserer Not um Hilfe bitten können. Wir brauchen einander. Wir können einander keine Vorwürfe zu machen. Wir können einander unsere unsere Wünsche sagen und hoffen, nicht verlangen, dass sie ein anderer vielleicht erfüllt.

Es kann weiter sein, dass wir in diesem Gebet noch etwas spüren: wir können noch mehr tun. Wir haben bisher übersehen in all unserer Mutlosigkeit, dass wir nicht ganz untätig bleiben müssen. Die Menschen in Jerusalem konnten ihre Türen für Flüchtlinge offenhalten und sie verstecken. Die Gemeindeglieder in den griechischen Gemeinden des Paulus veranstalteten eine große Geldsammlung für die armen Christen in Jerusalem. Alle machten sich damals gegenseitig Mut. So gibt es auch heute viele kleine Schritte – des einander-Mut-Machens; des Geld-und-Zeit-Opferns, des füreinander-da-Seins, des sich-Informierens-und-aktiv-Seins – wenn wir eine betende Gemeinde bleiben oder werden. Amen.

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