Sara und Hagar – Frauenbefreiung im 1. Buch Mose

Männliche Ausleger des Alten Testaments behaupteten von den Frauen der Erzväter des Volkes Israel, dass sie in den Überlieferungen des 1. Buchs Mose keine ursprüngliche, wesentliche, selbstständige Rolle gespielt hätten. Irmtraud Fischer wies 1994 in ihrem Buch „Die Erzeltern Israels“ nach, dass die Bibel ganz im Gegenteil ursprünglich vor allem an den Befreiungsgeschichten von Sara, Hagar und anderen interessiert war.

Das Bild zeigt Sara, die ihre Magd Hagar ihrem Mann Abraham zum Beischlaf zuführt, Abraham mit altem ausgemergeltem nacktem Oberkörper, Hagar mit halb entblößter linker Brust, alle mit ernsten Gesichtern, Sara starr zwischen beiden anderen hindurchblickend
Matthias Stom (1615–1649): Sara führt Hagar zu Abraham (Bild: Wikimedia Commons / Public domain)

Inhaltsverzeichnis

Neue Einsichten durch ein Buch von Irmtraud Fischer

Wem wird die Geburt Isaaks angekündigt – Sara oder Abraham?

Starke Mütter in den Geburtsgeschichten des 1. Buchs Mose

Rebekkas Zwillingsgeburt und ihr Umgang mit Komplikationen

Lea, Rahel, Bilha, Silpa und ihr Leben in einer polygynen Ehe

Der Tod Rahels bei der Geburt ihres zweiten Sohnes

Wie Tamar sich Recht gegen ihren Schwiegervater verschafft

Lots Töchter und ihr Einsatz für den Fortbestand der Familie

Warum wird drei Mal von einer Preisgabe der Ehefrau erzählt?

Preisgabe und Rettung Saras in Ägypten: 1. Mose 12,10-20

Preisgabe und Rettung Saras in Gerar: 1. Mose 20

Die Grunderzählung Gen 20G als Befreiungsgeschichte mit leichten Akzentverschiebungen

Die Entlastung des Erzvaters in der Bearbeitungsschicht Gen 20B

Die Gefährdung Rebekkas in Gerar: 1. Mose 26,1-11

Die drei Versionen und ihr Verhältnis zueinander

Thematisch mit den Preisgabeerzählungen verwandte biblische Texte

Dina

Michal

Batseba

Die Nebenfrau des Leviten

Die Preisgabeerzählungen als Kontrastgeschichten zur Erzählung von David und Batseba

Wirkungsgeschichte der Preisgabeerzählungen in außerbiblischen Texten

Zwei Geschichten von Hagars Flucht oder Vertreibung

Hagars Flucht: 1. Mose 16,1-16

Bedrückung und Rettung Hagars in der Grunderzählung Gen 16G

Die bearbeitete Erzählung Gen 16B als „text of terror“

Patriarchale Familienidylle in der Endversion Gen 16P

Hagars und Ismaels Vertreibung: 1. Mose 21,8-21

Vertreibung des erstgeborenen Erben mit seiner Mutter in Gen 21G

Abrahams Rolle in Gen 21B und ein Ausblick auf das Kapitel 22

Die Frauentexte im Kontext des Abraham-Sara-Kreises

Der älteste Abraham-Sara-Erzählkranz mit dem Schwerpunkt des Eingreifens JHWHs für die Frauen

Verbindung der Erzählkreise von Abraham-Sara und Jakob mit dem Scharnier der Rebekka-Isaak-Traditionen

Exilische Bearbeitung der Erzelternerzählungen: Abraham als „schwacher Mensch mit großem Glauben“

Patriarchalisierung der Erzelternerzählungen durch priesterschriftliche Einschübe

Versuch der Konstruktion eines untadeligen Abraham-Bildes für den biblischen Endtext

Ausblick auf das kritisch-prophetische Potential der Frauentexte in den Erzelternerzählungen

Anmerkungen

Neue Einsichten durch ein Buch von Irmtraud Fischer

Als die Gottesdienste in der Karwoche und an Ostern dieses Jahr wegen der Corona-Krise ausfallen mussten, kamen mir am Karsamstag 2020 meditative Gedanken zur biblischen Gestalt der Hagar in den Sinn (1). Drei Monate später stieß ich zufällig auf das Buch der österreichischen Alttestamentlerin Irmtraud Fischer über die Erzeltern Israels, das mir nicht nur zu den Erzählungen von Sara, der Stamm-Mutter Israels, sondern auch von Hagar eine Menge neue Einsichten vermittelt hat (2). Einige dieser Einsichten möchte ich hier weitergeben.

Dabei gehe ich nicht auf die Feinheiten ihrer wissenschaftlichen Argumentation genauer ein, die mit Fragen der Quellenscheidung und der Überlieferungsgeschichte der alttestamentlichen Texte zusammenhängen; ich setze allerdings voraus, dass die Erzählungen im 1. Buch Mose oft nicht aus einem Guss sind, sondern vielfältigen Bearbeitungen unterworfen waren. Nach Irmtraud Fischer wurden frühe Erzählungen oft aus der Sicht von Frauen erzählt; besonders die späte Priesterschrift (abgekürzt mit P) verfolgte hingegen das Interesse, die Bedeutung der Erzväter stärker hervorzuheben.

Wem wird die Geburt Isaaks angekündigt – Sara oder Abraham?

Die biblischen Überlieferungen setzen eine patriarchal geprägte Gesellschaft voraus. Daher könnte man es als selbstverständlich annehmen, dass alle Stammbäume wichtiger Personen ausschließlich die Namen von Vätern enthalten. Aber es gibt Ausnahmen. So macht Fischer (S. 7, Anm. 1) auf die Bibelstelle Ruth 4,11 aufmerksam, wo „Israel auf die Ahnfrauen zurückgeführt“ wird:

Der HERR mache die Frau, die in dein Haus kommt, wie Rahel und Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben…

Wie ist es nun aber mit der Ankündigung der Geburt des ersehnten Sohnes Isaak, auf den Abraham warten muss, bis er 100 Jahre alt ist, da Sara unter Unfruchtbarkeit leidet? Von ihr ist in zwei Kapiteln des 1. Buchs Mose in unterschiedlicher Weise die Rede. In 1. Mose 17 ist Abraham der alleinige Empfänger der Nachricht, in 1. Mose 18 wird die Botschaft noch einmal überbracht, wobei die Reaktion Saras im Mittelpunkt steht.

Schauen wir zunächst die entscheidenden Verse im Kapitel 17 genauer an. JHWH (3) erscheint dem Abram, ändert seinen Namen in „Abraham = Vater vieler Völker“ und verspricht ihm eine großartige Zukunft:

6 Und ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen und Könige sollen von dir kommen.

Weiterhin bekommt Abraham gesagt, dass auch seine Frau nicht mehr Sarai, sondern Sara heißen und in gleicher Weise wie er selbst gesegnet sein soll, denn sie und nicht Saras Sklavin Hagar (4) soll die Stamm-Mutter des von Gott erwähnten Volkes Israel werden:

16 Denn ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben; ich will sie segnen, und Völker sollen aus ihr werden und Könige über viele Völker.

Dieser Vers geht ähnlich wie die obige Bibelstelle aus dem Buch Ruth von einem (S. 10) „ebenbürtigen Stellenwert“ Saras gegenüber ihrem Mann Abraham aus, was die Verheißung der Nachkommenschaft zahlreicher Völker und Könige betrifft.

Damit hatten schon früh eine Reihe von Bibelabschriften und Handschriften der griechischen Bibelübersetzung Schwierigkeiten; in ihnen (S. 11) wird Sara von Gott „nur noch in bezug auf Abraham gesegnet…, weil er Abraham auch von ihr einen Sohn geben will“, oder sie beziehen die gesamte Verheißung „auf den Sohn, den Abraham von Sara erhalten wird: … Er wird gesegnet, aus ihm gehen die Völker und Könige hervor!“ Das aber nur nebenbei.

Der folgende Vers schildert die Reaktion Abrahams auf die Ankündigung der Geburt Isaaks:

17 Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?

Es erscheint verständlich, dass Abraham so reagiert; später wird der Name Isaaks als ein Wortspiel erklärt (JiTsḪaQ = „er lacht“) (5).

Aber etwas ist merkwürdig. Im folgenden Kapitel 18 des 1. Buchs Mose besuchen drei Männer den Abraham und lassen sich bewirten vor seinem Zelt; sie fragen nach Sara, die drinnen im Zelt ist, und – als ob Abraham nicht bereits die Ankündigung der Geburt des Isaak von JHWH entgegengenommen hätte – spricht einer der drei Männer plötzlich als Sprachrohr JHWHs:

10 Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.

Im weiteren Verlauf der Erzählung ist es nun Sara, die lacht. Und obwohl Abraham nach patriarchalen Gepflogenheiten der Gastgeber und Gesprächspartner der drei Männer ist, wird in dieser Geschichte die Geburt Isaaks der Sara angekündigt – an die sich JHWH im Gespräch zum Schluss sogar persönlich wendet:

Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes.

11 Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise.

12 Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!

13 Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin?

14 Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben.

15 Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht -, denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht.

16 Da brachen die Männer auf…

Nach Irmtraud Fischer ist die Erzählung von 1. Mose 18 offensichtlich ursprünglicher. Es ist (S. 12) „wesentlich stimmiger“, dass „Sara … in sich hinein[lacht], nachdem sie beim Zelteingang die Worte eines ihr Unbekannten gehört hat“, als anzunehmen, dass Abraham „vor Gott, der ihm erschienen war…, nieder[fällt] und [ihn aus-]lacht…!“

Das heißt: In 1. Mose 17,17 wird das „Lachen Saras von Gen 18,12ff. … auf Abraham übertragen“, da sich die Priester, die später die biblischen Texte ziemlich endgültig zusammenstellten, nicht vorstellen mochten, dass es ursprünglich die Frau des Erzvaters Abraham war, an die sich die Ankündigung der Geburt des auserwählten Sohnes zuerst gerichtet haben sollte.

Bis in die heutige Zeit hinein hält sich auch bei wissenschaftlichen Auslegern des Alten Testaments die vorurteilsbeladene Meinung (S. 18f.), wie zum Beispiel bei Hermann Gunkel (6), dass Sara nur, weil „Frauen … überhaupt neugierig“ seien, die Männer belauscht hätte. Nach Fischer aber stellt ihr

‚Hören‘ beim Zelteingang… vermutlich die gesellschaftlich übliche Partizipation der Frauen an solchen Ereignissen dar und ist nicht als ungebührliches Belauschen der Männer zu mißdeuten… Vom Erzählverlauf ist … ein Mithören Saras notwendig; auf diese Idee kommt man bei solch gefärbter Betrachtungsweise freilich nicht. Dabei weist bereits die Erkundungsfrage nach der Frau und die Auskunft, daß sie im Zelte sei, darauf hin, daß Sara die Sohnesankündigung hören soll!

Am Ende (S. 20) erfährt „weder das Lachen noch seine Leugnung … eine Bestrafung, der Redende besteht nur darauf, daß Sara gelacht habe.“ Dadurch soll Fischer zufolge (S. 21) „nicht die Beschämung der Frau wegen der Verleugnung ihrer ersten Reaktion“ erreicht werden; vielmehr wird der

Name des Sohnes … ursprünglich mit einer Begebenheit aus ihrem Leben verknüpft, selbst wenn spätere Texte diese Verknüpfung abschwächen wollen!

Die Verheißung der Geburt des ersehnten Sohnes

ist daher nicht nur mit dem Mann Abraham verbunden, sondern mit den Erzeltern!

Starke Mütter in den Geburtsgeschichten des 1. Buchs Mose

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein (S. 23), dass „in Texten, die von einer Geburt sprechen, … die Mütter im Zentrum stehen“. Genau das stellt Irmtraud Fischer für die ursprünglichen Erzählschichten der Geburtsgeschichten im 1. Buch Mose fest, zum Beispiel für die Geburt Isaaks im Kapitel 21:

JHWH nimmt sich Saras an, er tut an ihr, wie er angekündigt hatte, ihre Schwangerschaft und ihr Gebären wird berichtet, ebenso ihre Reaktion.

Es ist wieder erst ein Einschub (in den Versen 3 bis 5), der auf die so genannte Priesterschrift zurückgeführt werden kann, der

den Mann ins Zentrum des Geschehens [stellt], das Kind wird auf ihn bezogen, sein Leben wird durch die Geburt geprägt.

Auch (S. 35) von der Geburt Ismaels (7), der „als Ersatzerbe für das kinderlose Erzelternpaar geplant war“, wurde ursprünglich ganz aus der Sicht der Mutter Hagar erzählt (S. 36):

Der Gottesbote kündigt ihr die Geburt und das freie Leben des Kindes an, er weist sie an, dem Kind den Namen Ismael zu geben. Der Vater ist nicht im Blickfeld, da die schwangere Hagar sich bereits von ihm getrennt hat. Erst die P zuzuordnenden Verse rücken den Vater ins Zentrum: Hagar gebiert nun für ihn, er benennt den Sohn, der in das Lebenskontinuum Abrahams eingereiht wird.

Rebekkas Zwillingsgeburt und ihr Umgang mit Komplikationen

Ebenso wird (S. 25) der „gesamte Geschehensfortgang“ bei der Geburt von Esau und Jakob durch Rebekka in der nächsten Erz­elterngeneration (1. Mose 25,19-26) „von der Frau als Handlungsträgerin bestimmt.“ Als „Komplikationen während der Schwangerschaft (V22) … die werdende Mutter in Angst“ versetzen, ist es Rebekka selbst, die beschließt, „JHWH zu befragen“, und von ihm „den Gottesspruch empfängt“, der

ihr eine Zwillingsgeburt voraussagt und die Beschwerden der Schwangerschaft als Streit der beiden Kinder deutet, der sich in deren Leben – und darüber hinaus in den von ihnen abstammenden Völkern – fortsetzen wird.

Wieder ist nach Irmtraud Fischer erkennbar (S. 26), dass ein ursprünglicherer

Abschnitt V22-26a aus der Perspektive der Frau erzählt [ist]. Die näheren Umstände ihrer Schwangerschaft und ihr Hilfesuchen bei einem Wort JHWHs, die Beschreibung des Geburtsvorganges, während dem die Namengebung für Esau und Jakob erfolgt, das alles spielt sich in der Sphäre der Frauen ab, von der normalerweise in dieser Kultur der Mann ausgeschlossen blieb. Nur der P-Rahmen um den Text verankert das Schicksal der Frau im Patriarchat: Die spezifisch weiblichen Erfahrungen Rebekkas werden so zu einer Episode im Leben ihres Mannes Isaak.

Lea, Rahel, Bilha, Silpa und ihr Leben in einer polygynen Ehe

In der dritten Generation der Erzeltern wird ausführlich thematisiert, wie Jakobs Frauen Lea und Rahel um die Liebe ihres Mannes und um reichen Kindersegen rivalisieren. Dabei (S. 97) greifen sie auch ganz selbstverständlich auf die „altorientalische Rechtsinstitution“ der „Übergabe einer leibeigenen Sklavin an den Ehemann durch seine Ehefrau zum Zweck des Kindergebärens“ zurück, als sie unter langjähriger (Rahel) oder vorübergehender (Lea) Unfruchtbarkeit leiden, und führen ihre Sklavinnen Silpa und Bilha ihrem Ehemann zu, damit er mit ihnen (weitere) Kinder haben kann.

Aus der Tatsache (S. 98), dass „weder in den Rechtstexten, noch in Erzähltexten außerhalb der Genesis von dieser Rechtsinstitution, die sonst nur außerbiblisch belegt ist, berichtet wird“, schließt Fischer, dass das stellvertretende Gebären einer Sklavin für eine Hauptfrau

zur Abfassungszeit der Texte bekannt gewesen sein, nicht jedoch … bestanden haben muß. Dies würde ein kleiner Hinweis darauf sein, daß man die entsprechenden Texte (zumindest deren älteste Version) nicht allzuspät ansetzen sollte.

Die biblischen Berichte über Jakobs Frauen Lea, Rahel, Bilha und Silpa geben (S. 28)

Einblicke in den Alltag polygyner Ehen. Die Zuneigung des Mannes gehört einer Frau, bei ihr pflegt er zu nächtigen; seine drei weiteren Frauen dürfen sein Beilager wohl nicht ohne weiteres erwarten.

Das schließt Irmtraud Fischer insbesondere aus der in 1. Mose 30,14-16 erzählten Geschichte (S. 27), in der es einerseits um „den Gebärwettstreit der beiden Schwestern, andererseits die Benachteiligung Leas durch Jakob und die Unfruchtbarkeit der einzig geliebten Ehefrau, Rahel“, geht. Als der „erstgeborene Sohn der fruchtbaren Lea, Ruben“, seiner Mutter Alraunen bringt, die er auf dem Feld gefunden hat und die im Alten Orient „als Mittel zum Liebeszauber verwendet“ wurden (die Lutherbibel übersetzt „Liebesäpfel“), schlägt ihre Schwester Rahel ihr (S. 27f.)

einen punktuellen Tausch dessen vor, worum die beiden Schwestern einander beneiden: Rahel verzichtet zugunsten Leas auf eine Nacht mit Jakob, um die Alraunen zu bekommen, von denen sie sich Fruchtbarkeit erhofft. Der Vorschlag ist noch für heutige Ohren kühn: Die Lieblingsfrau bestimmt über die Sexualität des Mannes über dessen Kopf hinweg!

Auch hier wird aus der Perspektive der Frauen erzählt (S. 28):

Der Patriarch bleibt stumm in dieser Erzählung. Obwohl der ganze Abschnitt von überaus starken Emotionen der Frauen erzählt, erfährt man nichts über jene des Mannes. Kein Einspruch, kein Widerwille, Jakob fügt sich seinen Frauen [1. Mose 30,16:]

Als nun Jakob am Abend vom Felde kam, ging Lea hinaus ihm entgegen und sprach: Zu mir sollst du kommen, denn ich habe dich erkauft mit den Liebesäpfeln meines Sohnes. Und er schlief die Nacht bei ihr.

Nicht auf Grund der Alraunen, sondern erst nach drei weiteren Kindern, die Lea geboren werden, erhört Gott auch den Kinderwunsch der Rahel, indem Josef geboren wird.

Der Tod Rahels bei der Geburt ihres zweiten Sohnes

Die Erzählung von der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin, die unterwegs in der Nähe von Bethlehem stattfindet (S. 29),

gibt Einblick in das Leben der altisraelitischen Frauen: Die Hebamme steht Rahel bei der Geburt bei, sie kann jedoch nicht verhindern, daß die Mutter unmittelbar nach der Geburt stirbt.

Als die sterbende Rahel (S. 30) „ihr Neugeborenes ‚Sohn meines Unheils‘“ nennt und damit „ihre Lebensgeschichte in die des Kindes hineinträgt“, benennt Jakob den Sohn „in Benjamin, ‚Sohn der Rechten/Glückskind‘“ um, was Irmtraud Fischer im Sinne „einer positiven Aufarbeitung ihres Todes“ deutet, „indem er die Liebe zu ihr in ihrem Sohn weiterträgt.“

Die große Bedeutung der Rahel für die biblische Überlieferung zeigt sich in 1. Mose 48,7, 1. Samuel 10,2, Jeremia 31,15-17 und Matthäus 2,17-18 sowie darin, dass Rahels Grab (S. 31) als „eine der wenigen Begräbnisstätten, die im AT von Bedeutung sind“, bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist.

Was hier erzählt wird, ist Teil von Frauenschicksalen im Alten Orient: eine Frau stirbt in der Erfüllung ihres Lebenswunsches, bei der Geburt ihres Kindes.

Wie Tamar sich Recht gegen ihren Schwiegervater verschafft

Ein weiteres (S. 35) „Paradebeispiel“ für „die Fragestellung der Bedeutung der Frauen in den genealogischen Texten“ ist das Kapitel 38 im 1. Buch Mose, in dem es um die Geburt der Zwillinge Perez und Serach geht. Ihre Mutter Tamar wird vom biblischen Erzähler als ausgesprochen starke Frau geschildert, die sich erfolgreich gegen die Doppelmoral ihres Schwiegervaters Juda durchzusetzen weiß (8):

Die Frau sorgt für die Nachkommenschaft, die ihr von ihrem ersten Mann versagt blieb, vom zweiten Mann verweigert, und vom Schwiegervater durch den Bruch des Leviratsversprechens vorenthalten wurde. Sie verschafft sich die Kinder von jenem Mann, der sie zur kinderlosen Witwe verdammt hat. … Tamar wird denn auch im Rutbuch zu jenen Frauen gereiht, die das Haus Israel auferbaut haben (4,12).

Es ist also Tamar, die dafür sorgt, dass der letztendlich bedeutendste Stamm Israels, nämlich Juda, nicht ausstirbt. Zu ihren Nachkommen zählt nicht nur König David, sondern auch Josef, der menschliche Adoptivvater Jesu.

Zu Recht hebt Irmtraud Fischer (S. 34) die „Parteinahme des Erzählers“ für Tamar gegenüber dem Unrecht hervor, das ihr durch ihren Schwiegervater Juda angetan wird. Er hatte ihr, nachdem zwei seiner Söhne als Ehemänner Tamars kinderlos gestorben waren, seinen dritten Sohn als Ehemann zugesagt, aber er dachte nicht daran, sein Versprechen einzulösen. Das bedeutete für Tamar (S. 32):

Als Witwe, die durch die Zusage einer Leviratsehe gebunden ist, steht es Tamar nicht frei, anderwärtig zu heiraten. Obwohl sie nicht mehr im Hause des Schwiegervaters lebt, ist sie rechtlich dennoch dessen Schwiegertochter.

Dieses „Unrecht … ist Tamar jedoch nicht bereit hinzunehmen.“ Der Erzähler erzählt durchaus mit Sympathie für Tamar, wie sie – „verkleidet … als Prostituierte“ – unerkannt ihren Schwiegervater verführt und sich von ihm schwängern lässt. Dabei wird Juda nicht für seinen Umgang mit einer Prostituierten getadelt, wohl aber muss er, als er sie, nachdem ihre Schwangerschaft offensichtlich geworden ist, wegen Ehebruchs zum Tode verurteilen will, stattdessen über sich selbst das Urteil sprechen, seiner Schwiegertochter Unrecht angetan zu haben.

Lots Töchter und ihr Einsatz für den Fortbestand der Familie

Auch (S. 36) die Geschichte von der Geburt Moabs und Ammons (Gen 19,30-38) „wird völlig von der Aktivität der beiden Mütter bestimmt“, obwohl ihre Namen im Gegensatz zu dem des Vaters Lot ungenannt bleiben. Zuvor hatte Lot (19,8) „seine beiden jungfräulichen Töchter anstelle seiner männlichen Gäste dem Pöbel zur Vergewaltigung ausliefern“ wollen. Als nach dem Untergang der Stadt Sodom und (S. 37) der Flucht Lots „mit seinen Töchtern aus besiedeltem Gebiet in eine einsame Höhle im Gebirge … das Überleben der Familie“ in Frage gestellt ist, beschließen die „beiden Frauen, Nachkommenschaft und Fortbestand der Familie zu sichern“, indem sie sich durch Inzest von ihrem Vater (S. 38) „Kinder … verschaffen“. Wie über die „Handlung Tamars in Gen 38“ ist auch über die Töchter Lots, deren Namen ungenannt bleiben, zu sagen:

Die so gezeugten Söhne verdanken ihr Leben ausschließlich der Courage ihrer Mütter. Die Motivation für ihre Aktionen ist in keinem Fall etwa in sexueller Zügellosigkeit zu suchen, sondern ausschließlich in dem (legitimen) Anliegen der Wiedereingliederung in den Lebensstrom.

Warum wird drei Mal von einer Preisgabe der Ehefrau erzählt?

Wer das 1. Buch Mose aufmerksam gelesen hat, ist vielleicht schon einmal darüber gestolpert, dass eine Geschichte drei Mal in mehreren Variationen erzählt wird (12,10-20; 20,1-18; 26,1-11): Ein Erzvater gibt im Ausland seine Ehefrau als seine Schwester aus und bringt sie dadurch in die Gefahr, vom Herrscher des Landes in seinen Harem aufgenommen zu werden und Ehebruch zu begehen. In Kapitel 12 und 20 geht es um Abraham und Sara (9), in Kapitel 26 um Isaak und Rebekka; als beteiligter Herrscher wird in der ersten Erzählung der Pharao von Ägypten genannt, in den beiden letzteren der König Abimelech von Gerar.

Preisgabe und Rettung Saras in Ägypten: 1. Mose 12,10-20

Als die älteste Version der Geschichte beurteilt Irmtraud Fischer die als erste dargebotene Erzählung in 1. Mose 12:

10 Es kam aber eine Hungersnot in das Land. Da zog Abram hinab nach Ägypten, dass er sich dort als ein Fremdling aufhielte; denn der Hunger war groß im Lande.

11 Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarai, seiner Frau: Siehe, ich weiß, dass du eine schöne Frau bist.

12 Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau, und werden mich umbringen und dich leben lassen.

13 So sage doch, du seist meine Schwester, auf dass mir’s wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen.

14 Als nun Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter, dass seine Frau sehr schön war.

15 Und die Großen des Pharao sahen sie und priesen sie vor ihm. Da wurde sie in das Haus des Pharao gebracht.

16 Und er tat Abram Gutes um ihretwillen; und er bekam Schafe, Rinder, Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele.

17 Aber der HERR plagte den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, Abrams Frau, willen.

18 Da rief der Pharao Abram zu sich und sprach zu ihm: Warum hast du mir das angetan? Warum sagtest du mir nicht, dass sie deine Frau ist?

19 Warum sprachst du denn: Sie ist meine Schwester, sodass ich sie mir zur Frau nahm? Und nun siehe, da hast du deine Frau; nimm sie und zieh hin.

20 Und der Pharao bestellte Leute um seinetwillen, dass sie ihn geleiteten und seine Frau und alles, was er hatte.

Nach Fischer ist die Geschichte ohne erkennbare Bearbeitungsspuren so in einem Guss erzählt worden; lediglich die beiden rot markierten Stellen mögen später hinzugefügt worden sein.

Verräterisch sind in diesem Text vor allem die von mir fett hervorgehobenen Stellen. Fischer zufolge (S. 126) hat der Alttestamentler Frank Crüsemann (10) gezeigt, dass in Vers 13

die Übersetzung … mit „um deinetwillen“ irreführend ist: „Abraham will ja gerade nicht ‚um ihretwillen‘ leben, das hieße ja für sie, sondern ‚auf ihre Kosten‘, ‚um ihren Preis‘.“

In Vers 16 zeigt die gleiche Formulierung an, dass der Pharao tatsächlich in gutem Glauben Abraham um seiner Frau willen Gutes tut – er zahlt ihm als dem vermeintlichen Bruder Saras nämlich einen enormen Brautpreis; damit stellt der Erzähler eindeutig klar, dass der Erzvater in seinen Augen Sara als seine Ehefrau in verwerflicher Weise preisgegeben hat, so dass der Pharao sie als seine Ehefrau in seinen Harem aufnehmen konnte.

Die Pointe der Geschichte liegt darin, dass JHWH selbst rettend eingreift, um die von Abraham preisgegebene Frau zu bewahren. Dem Erzähler ist es wichtig, den Grund für die Plagen, mit denen Gott den Pharao heimsucht, deutlich auszudrücken: JHWH tut es um Sarais, Abrams Frau willen. Er ist an ihrem Wohlergehen interessiert und stellt durch sein Eingreifen dem Pharao gegenüber klar, dass Abrahams Angabe, Sara sei seine Schwester, eine offenkundige Lüge war. So handelt JHWH nach Fischer (S. 130) „in seiner Eigenschaft als Anwalt der Unterdrückten für Sara.“

Es gibt Alttestamentler, die genau diesen Versteil für eingeschoben halten (S. 131), weil Sara angeblich

im Zusammenhang der ursprünglichen Erzählung … keine tragende Rolle spielt und nicht im Mittelpunkt steht und auch deshalb nur beim ersten Mal mit Namen (V.11) genannt wird, sonst aber immer nur als ‚Frau‘ bezeichnet wird (11).

Aber damit versucht man nach Fischer nur zu beweisen, was man von vornherein vorausgesetzt hat („typischer Zirkelschluß“)! Denn:

Wenn Sara in der passiven Opferrolle gezeichnet wird, läßt das noch lange nicht die Behauptung zu, daß ihre Person in der Erzählung nebensächlich sei. Mit Ausnahme der Exposition (V10) wird in jedem Vers auf sie Bezug genommen, sämtliches Handeln erfolgt auf ihre Kosten, sie selber stellt als Person das Problem der Erzählung dar. Sara wird hier erstmals nach V11 beim Namen genannt; das entspricht dem entlarvenden Tun JHWHs: Er macht durch die Schläge offenbar, daß Sara die Ehefrau Abrahams ist. Insofern ist gerade die volle Bezeichnung SsaRaJ ˀESchaTh ˀABRaM [= Sarai, Abrams Frau] eindeutiger Hinweis darauf, daß JHWH nicht bereit ist, Sara als Person und in ihrer Bindung an ihren Mann preiszugeben. JHWH handelt damit an Sara „gegen den ausdrücklichen Willen ihres Mannes“, (12) der ja gerade die Ehebindung gelöst wissen wollte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.

Damit ist für Irmtraud Fischer die Absicht der ursprünglichen Erzählung klar umrissen (S. 134): Sie will „die Preisgabe Saras und ihre Rettung durch JHWH erzählen“ und nicht etwa als eine rein weltlich zu verstehende Story „die Schlauheit des Erzvaters rühmen, der aus einer Lüge so listig Kapital zu schlagen versteht“ (13), und auch nicht einfach „die rettende Bewahrung des Verheißungsträgers Abraham durch seinen Gott preisen“ (14).

Definitiv ist nach Fischer (S. 135) „Abraham nicht der Held der Geschichte“; vielmehr wird er

als ein besorgt auf sein eigenes Leben bezogener Mann vorgestellt, der vorurteilsbeladene Ängste gegenüber den Fremden hat, aufgrund derer er Bewältigungsstrategien entwickelt, die ihn bis zur Preisgabe seiner Ehefrau gehen lassen.

Aber auch Saras Rolle konnte missverstanden werden:

„Sara wiederum wird nicht als ‚brave Ehefrau‘ patriarchaler Wunschvorstellungen (15) charakterisiert; sie ist ausschließlich stummes Opfer der Willkür ihres Mannes, auf deren Kosten seine Probleme gelöst werden. Daß sie dabei der Gefahr des Ehebruchs mit einem Fremden ausgesetzt wird, zeigt das Ausmaß der Preisgabe.“

Der Pharao schließlich wird ganz anders geschildert, als sich Abraham ihn in seinen Phantasien ausgemalt hat. So ist

der Pharao nicht jener lüsterne Frauenheld, der es nur darauf abgesehen habe, Ehemänner zu ermorden, um an deren schöne Frauen heranzukommen. Der Erzähler charakterisiert ihn vielmehr als noblen Herrn, der Recht und Anstand achtet, für eine schöne Frau einen ehrenden Brautpreis zu zahlen bereit ist, aber unwissend in eine Schuld verstrickt wird, welche erst die Schläge JHWHs aufdecken.

Anders als der Pharao, der später Mose gegenübersteht und nicht bereit ist, sich durch die Plagen JHWHs zur Einsicht nötigen zu lassen, ist der Pharao hier dazu

bereit, seine Tat als nicht rechtens zu erkennen und rückgängig zu machen. Mit demjenigen, der ihn in diese mißliche Lage gebracht hat, will er allerdings nichts mehr zu tun haben. Er verlangt nicht einmal mehr den Brautpreis zurück, bevor er Abraham über die Grenzen seines Reiches abschiebt.

In der Geschichte 1. Mose 12,10-20 geht es also zentral um Sara (S. 136): „An ihrer Person entzündet sich die gesamte Handlung, die von Abraham auf ihre Kosten, von JHWH jedoch zu ihren Gunsten geht.“ Eine „Preisgabeerzählung“ wird „aufgrund des Eingreifens JHWHs zu einer Rettungserzählung“.

Preisgabe und Rettung Saras in Gerar: 1. Mose 20

Für die zweite Erzählung von der Preisgabe Saras, dieses Mal in Gerar, nimmt Irmtraud Fischer (S. 138) „wegen der beträchtlichen Spannungen“ des Textes an, dass sie aus „mindestens zwei oder auch mehreren Schichten“ zusammengesetzt wurde. Auf Grund einer eingehenden literarkritischen Analyse kommt sie zu dem Schluss (S. 153), dass „sich eine Grundschicht erheben“ lässt, „die sekundär erweitert wurde. Diese sekundäre Schicht ist jedoch keine eigenständige Erzählung der Geschichte, sondern eine gezielte, spätere Bearbeitung der Grundschicht.“ In der folgenden Wiedergabe der Lutherübersetzung 2017 habe ich die erweiternden Bearbeitungen rot markiert:

1 Abraham aber zog von dannen ins Südland und wohnte zwischen Kadesch und Schur und lebte nun als ein Fremdling zu Gerar.

2 Er sagte aber von Sara, seiner Frau: Sie ist meine Schwester. Da sandte Abimelech, der König von Gerar, hin und ließ Sara holen.

3 Aber Gott kam zu Abimelech des Nachts im Traum und sprach zu ihm: Siehe, du bist des Todes um der Frau willen, die du genommen hast; denn sie ist eines Mannes Ehefrau.

4 Abimelech aber hatte sie nicht berührt und sprach: Herr, willst du denn auch ein gerechtes Volk umbringen?

5 Hat er nicht zu mir gesagt: Sie ist meine Schwester? Und sie hat auch gesagt: Er ist mein Bruder. Hab ich das doch getan mit einfältigem Herzen und unschuldigen Händen.

6 Und Gott sprach zu ihm im Traum: Ich weiß auch, dass du das mit einfältigem Herzen getan hast. Darum habe ich dich auch behütet, dass du nicht wider mich sündigtest, und habe es nicht zugelassen, dass du sie berührtest.

7 So gib nun dem Mann seine Frau wieder, denn er ist ein Prophet, und lass ihn für dich bitten, so wirst du am Leben bleiben. Wenn du sie aber nicht wiedergibst, so wisse, dass du des Todes sterben musst und alles, was dein ist.

8 Da stand Abimelech früh am Morgen auf und rief alle seine Knechte und sagte dieses alles vor ihren Ohren. Und die Männer fürchteten sich sehr.

9 Und Abimelech rief Abraham auch herzu und sprach zu ihm: Warum hast du uns das angetan? Und was habe ich an dir gesündigt, dass du eine so große Sünde wolltest auf mich und mein Reich bringen? Du hast an mir gehandelt, wie man nicht handeln soll.

10 Und Abimelech sprach weiter zu Abraham: Wie bist du dazu gekommen, dass du solches getan hast?

11 Abraham sprach: Ich dachte, gewiss ist keine Gottesfurcht an diesem Orte, und sie werden mich um meiner Frau willen umbringen.

12 Auch ist sie wahrhaftig meine Schwester, denn sie ist meines Vaters Tochter, aber nicht meiner Mutter Tochter; so ist sie meine Frau geworden.

13 Als mich Gott aus meines Vaters Hause ins Ungewisse wandern hieß, sprach ich zu ihr: Tu mir diese Liebe, dass, wo wir hinkommen, du von mir sagst, ich sei dein Bruder.

14 Da nahm Abimelech Schafe und Rinder, Knechte und Mägde und gab sie Abraham und gab ihm Sara, seine Frau, wieder.

15 Und Abimelech sprach: Siehe da, mein Land steht dir offen; wohne, wo dir’s wohlgefällt.

16 Und zu Sara sprach er: Siehe da, ich habe deinem Bruder tausend Silberstücke gegeben; siehe, das soll eine Decke sein über den Augen aller, die bei dir sind, dir zugute. Damit ist dir bei allen Recht verschafft.

17 Abraham aber betete zu Gott. Da heilte Gott Abimelech und seine Frau und seine Mägde, dass sie wieder Kinder gebaren.

18 Denn der HERR hatte zuvor hart verschlossen jeden Mutterschoß im Hause Abimelechs um Saras, Abrahams Frau, willen.

Manche Exegeten zweifeln zusätzlich zu den oben angegebenen Ergänzungen auch an der Vollständigkeit des Grundtextes, weil zu Beginn wesentliche Informationen zum Verständnis der Geschichte fehlen. Irmtraud Fischer hält es aber nicht für notwendig, Auslassungen oder weitere redaktionelle Ergänzungen des Grundtextes anzunehmen, denn (S. 138) die Erzählung in 1. Mose 20 ist von einem „nachholendem Erzählstil (16)“ geprägt, im Rahmen dessen „die vorauszusetzenden Sachverhalte erst im Laufe der Erzählung aufgedeckt werden“.

Allerdings fehlt in den einleitenden Versen 1 und 2 ein „triftiger Grund, der den Zug in ein fremdes Herrschaftsgebiet rechtfertigen würde“, wie die in 1. Mose 12,26 angegebene Hungersnot; um so wichtiger ist für die Geschichte (S. 139), dass sich Abraham und Sara in Gerar als Fremdlinge aufhalten. Das wird mit dem hebräischen Wortspiel WaJJaGaR BiGɘRaR wiedergegeben; die Konsonanten G und R des Wortes für „Fremdling“ tauchen im Namen des Ortes „Gerar“ wieder auf: Der Ausdruck „gibt nicht primär einen Verweis auf eine Ortsangabe, sondern auf den Rechtsstatus des Erzelternpaares, unter dessen Voraussetzungen die Handlung erst in Gang kommen kann.“

Weiterhin ist (S. 138) zunächst kein „Grund dafür genannt, warum Abraham seine Frau als Schwester ausgibt und warum sie in den Harem Abimeleks aufgenommen wird.“ Es (S. 153)

‚fehlt‘ das Motiv von der Schönheit der Ahnfrau. Die Männer des Ortes, die in den beiden anderen Versionen die Frau entdecken, kommen erst – und noch dazu funktionslos – in der morgendlichen Aufstehszene V8 vor. Die Begründung zur Verleugnung der Ehebeziehung erfährt man gar erst in V11. Diese Informationslücken werden also zwar im Erzählverlauf geschlossen, wirklich schlüssig ist diese Erzähltechnik aber nur dann, wenn der Verfasser beim Leser und der Leserin die Kenntnis des Stoffes voraussetzen kann und er so die Möglichkeit hat, seine pointierte Sichtweise gezielt später einzutragen, bzw. gewisse Einzelheiten überhaupt auszulassen.

Insofern zieht Fischer den Schluss (S. 138f.), dass

der Verfasser von Gen 20 bereits eine der Preisgabeerzählungen vorliegen hat und beim Leser und der Leserin daher ein Wissen um den Handlungsverlauf und dessen Motivierung voraussetzen kann.

Zusammenfassend begründet sie nochmals ihre Auffassung, dass die Grundschicht einen plausiblen Zusammenhang bildet (S. 164):

Wenn Exposition und Problemstellung derart knapp ausfallen, liegt das nicht an einer späteren Beschneidung einer ursprünglich ausführlicheren Erzählung, sondern ist durch den nachholenden Stil bedingt. Bis zum Schluß werden der Leserin und dem Leser alle zum Verständnis notwendigen Informationen gegeben. Freilich ist dieser Stil für eine Geschichte, die man nicht kennt, problematisch; er ist es jedoch nicht, wenn man mit dem Stoff vertraut ist!

Die Grunderzählung Gen 20G als Befreiungsgeschichte mit leichten Akzentverschiebungen

Auch in 1. Mose 20 (S. 171) zeichnet die

Grunderzählung … ein wenig schmeichelndes Bild vom Erzvater: Aus einem religiös verbrämten und, wie sich erweist, unbegründeten Vorurteil heraus hat er Angst, wegen seiner Frau umzukommen. Die Verleugnung Saras als Ehefrau – und damit ihre Preisgabe – scheint ihm der einzige Ausweg zur Rettung seiner eigenen Haut zu sein. Sara wird als stummes Opfer der ehemännlichen Angst gezeichnet.

Demgegenüber wird (wie in 1. Mose 12 der Pharao) auch der „fremde König Abimelek … in einem wesentlich günstigeren Licht“ dargestellt.

Er ist gottesfürchtig und hält sich denn auch an die Anweisungen Gottes. Die Sünde, die Abimelek dem Tode nahe bringt, wird durch Irreführung des Erzvaters verursacht, welcher sich durch die Mißachtung der menschlichen Ordnung gerade nicht als Gottesfürchtiger erweist. Daß Abimelek, obwohl er betrogen wurde, das Paar nicht des Landes verweist, sondern noch durch Wiedergutmachungszahlungen zu versöhnen versucht und zum Verweilen einlädt, erweist ihn als großzügigen Mann.

Die Erzählung hat (S. 172) ein dermaßen großes „gezieltes Interesse am Schicksal des irregeführten Abimelek“, dass die „Handlung … nicht bereits mit der Rückgabe der Ehefrau [endet], sondern erst nachdem die Geschichte auch für ihn – und seine Frauen – zu einem guten Ende gekommen ist.“

Auch „in dieser Erzählversion“ greift Gott, der hier bis auf den letzten Vers nicht JHWH genannt, sondern mit der allgemeinen Bezeichnung Elohim bezeichnet wird, „für Sara ein“. Allerdings stellt Fischer eine „leichte Akzentverschiebung im Vergleich zu Gen 12“ fest:

Gott greift nicht nur für sie als Person ein (V18b!), sondern wegen der ‚Ehefrau eines Ehemannes‘ (V3b). In dieser Version schützt also Gott tatsächlich die Ehe, indem er die Frau aus dem fremden Harem befreit und darauf besteht, daß sie zu ihrem Ehemann zurückgeführt wird.

Trotzdem bleibt die grundlegende Absicht der Grunderzählung in 1. Mose 20 (von Fischer Gen 20G genannt) die gleiche wie in 1. Mose 12 (S. 173):

Die Kritik am Erzvater ist … nicht zu überhören, ebenso nicht das Plädoyer für einen Gott, der die Frau als Opfer männlicher Willkür rettet und fordert, das Recht wiederherzustellen. Auch Gen 20G ist damit als Preisgabe- und Rettererzählung zu charakterisieren.

Die Entlastung des Erzvaters in der Bearbeitungsschicht Gen 20B

In der von Fischer Gen 20B genannten „Bearbeitungsschicht“ sind ganz andere Absichten erkennbar. Die in Vers 1 eingefügte Bemerkung macht „Abraham eher zu einem Durchreisenden in Gerar, denn zu einem Zuflucht Suchenden“. Wesentlicher sind andere „Erweiterungen … der Grunderzählung“, die „wesentliche Veränderungen in der Darstellung der Charaktere“ ergeben. Das Verhalten Abrahams wird insofern verharmlost, als

  1. „der Erzvater als Mann gezeichnet [wird], über den das Unglück hereinbricht, daß ihm seine Frau genommen wird, die gleichzeitig seine Schwester ist“ (Vers 12), „womit die Lüge zur Halbwahrheit wird und das moralisch allzu Bedenkliche zumindest abgeschwächt wird“,
  2. das „bewußte Verschweigen der anderen Hälfte der Wahrheit … zu einer allgemeinen Überlebensstrategie gemacht [wird], die das Ehepaar an allen Orten, wo es fremd ist, anwendet“ (Vers 13),
  3. kein Ehebruch stattgefunden hat, da „Abimelek Sara nicht berührt hat“, weil „Gott selber … ihn daran gehindert [hat], zu sündigen“ (Verse 4 und 6),
  4. Gott „auf einer Fürbitte des Erzvaters“ für Abimelek besteht, der ohne sein Wissen die Frau eines anderen Mannes als Ehefrau genommen hat, wobei Gott selbst Abraham einen Propheten nennt (Vers 7 und 17),
  5. Abrahams Lüge „auch direkt von der Frau ausgesprochen [wird], wodurch sie aus der reinen Opferrolle heraustritt und selber an der Täuschung teilhat“.

Diese „Tendenz, die Erzeltern zu entlasten, vor allem aber Abraham in bezug auf seine moralisch zweifelhafte Handlungsweise freizusprechen, … geschieht jedoch nicht auf Kosten des fremden Königs“, sondern (S. 174)

auf Kosten des Gottesbildes: Aus dem Befreiergott ist der allwissende, im voraus vor Sünde bewahrende Gott geworden, der sich nur durch einen Mittler beschwichtigen läßt. Er hat die Fäden in der Hand, ist parteiisch für seinen Erwählten und derart rigide in der Erwartung der Befolgung seiner Befehle, sodaß die Menschen nur nach seinem Willen handeln können, um ihr Leben zu retten. Aus dem rettenden Eingreifen Gottes für Sara ist schützende Bewahrung geworden; die Rückgabe der nicht behelligten Ehefrau erreicht Gott durch die Einforderung des Gebotsgehorsams.

Die Gefährdung Rebekkas in Gerar: 1. Mose 26,1-11

Die bereits zwei Mal von Abraham und Sara erzählte Geschichte wird in 1. Mose 26 auch noch einmal auf Isaak und Rebekka in der zweiten Generation der Erzeltern übertragen. Jedenfalls bringt Irmtraud Fischer überzeugende Argumente gegen die Annahme vor, dass in dieser dritten Version die Ursprungserzählung wiederzuerkennen sei (dazu siehe unten).

Außer einigen später hinzugefügten (hier rot markierten) Versen beurteilt Fischer den Grundbestand der folgenden Erzählung als einheitlich:

1 Es kam aber eine Hungersnot ins Land nach der früheren, die zu Abrahams Zeiten war. Und Isaak zog zu Abimelech, dem König der Philister, nach Gerar.

2 Da erschien ihm der HERR und sprach: Zieh nicht hinab nach Ägypten, sondern bleibe in dem Lande, das ich dir sage.

3 Bleibe als Fremdling in diesem Lande, und ich will mit dir sein und dich segnen; denn dir und deinen Nachkommen will ich alle diese Länder geben und will meinen Eid wahr machen, den ich deinem Vater Abraham geschworen habe,

4 und will deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und will deinen Nachkommen alle diese Länder geben. Und durch deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden,

5 weil Abraham meiner Stimme gehorsam gewesen ist und gehalten hat meine Rechte, meine Gebote, meine Satzungen und meine Weisungen.

6 So wohnte Isaak zu Gerar.

7 Und wenn die Leute am Ort fragten nach seiner Frau, so sprach er: Sie ist meine Schwester; denn er fürchtete sich zu sagen: Sie ist meine Frau. Er dachte nämlich: Sie könnten mich töten um Rebekkas willen, denn sie ist schön von Gestalt.

8 Als er nun eine Zeit lang da war, sah Abimelech, der König der Philister, durchs Fenster und wurde gewahr, dass Isaak scherzte mit Rebekka, seiner Frau.

9 Da rief Abimelech den Isaak und sprach: Siehe, sie ist ja deine Frau. Wie hast du denn gesagt: Sie ist meine Schwester? Isaak antwortete ihm: Ich dachte, ich würde vielleicht sterben müssen um ihretwillen.

10 Abimelech sprach: Warum hast du uns das angetan? Es wäre leicht geschehen, dass jemand vom Volk sich zu deiner Frau gelegt hätte, und du hättest so eine Schuld auf uns gebracht.

11 Da gebot Abimelech allem Volk und sprach: Wer diesen Mann oder seine Frau antastet, der soll des Todes sterben.

Es gibt Exegeten (S. 187), „die Gen 26 als die älteste der drei Versionen betrachten“, denn „diese Erzählung sei urtümlich, rein profan, nüchtern und daher mit allen Anzeichen eines hohen Alters versehen.“ Dagegen spricht nach Irmtraud Fischer schon die Tatsache, dass nach „umständlicher Exposition … ein sehr flacher Spannungsbogen aufgebaut“ wird und (S. 188) fast alle Verse „Anklänge an die beiden anderen Versionen“ enthalten. Sie beurteilt daher die von ihr so genannte Grunderzählung

Gen 26G … als nachgestaltete Erzählung…, die sämtliche Anstößigkeiten der beiden anderen Versionen aus der Welt schafft und die kantigen Profile der dargestellten Charaktere einebnet.

So wird bereits in Vers 2 durch

die ausdrückliche göttliche Erlaubnis für die Erzeltern, das Land zu verlassen, sowie die definitive Gutheißung des gewählten Zufluchtsortes Gerar … indirekt auf den Schutz JHWHs für das ganze Unternehmen hingewiesen, womit die Erzählung aber auch nicht mehr als rein profan bezeichnet werden kann.

Weiterhin erhält das „Vorurteil des Erzvaters den Fremden gegenüber“ nicht nur „durch die Erkundungsfrage der Männer des Ortes eine Bestätigung“, sondern auch durch die Androhung der Todesstrafe für jeden, der Isaak oder Rebekka antastet, da „selbst der fremde König seine eigenen Männer zu solcher Tat für fähig hält.“

Allerdings wird „Rebekka … in die Sache nicht hineingezogen.“ Sie wird „weder mit der Überredung des Erzvaters (12,10ff.), noch mit einer von ihr ausgesprochenen Lüge (Gen 20B) belastet.“

Letzten Endes verharmlost der nachgestaltende Erzähler den ihm vorliegenden Erzählstoff, um zu „beweisen, daß nichts passiert ist“. Damit ist auch „der flache Spannungsbogen dieser Version“ erklärt, denn es kann keine Rede mehr davon sein, „daß die Ahnfrau aufgrund der Feigheit ihres Ehemannes Opfer/Beteiligte eines Ehebruchs wird“. Keiner der Männer in Gerar begehrt Rebekka wirklich, vielmehr wird „der Ehebruch ausdrücklich als eine bloße Möglichkeit erwogen und abschließend noch durch die Todessanktion als vollends unmöglich dargestellt“.

Das kann nach Irmtraud Fischer nicht im Sinne einer „Nüchternheit der Erzählung“ beurteilt werden, außer (S. 189) man verwechselt Nüchternheit mit „Harmlosigkeit“, denn „es passiert wahrlich nichts Aufregendes“, während die beiden andern Erzählungen „nüchtern [sind] in bezug auf die Darstellung menschlicher Schwächen“.

Durch die „Abschwächung von anstößigem Geschehen“ wird „eine Rettung der Ahnfrau durch JHWH unnötig“; stattdessen tritt eine andere Vorstellung von Gott in den Vordergrund: „JHWH rettet durch die Bewahrung vor der Gefahr!

Zur Absicht „der Bearbeitungsschicht Gen 26B“ ist lediglich zu sagen, dass in ihr alle „Verheißungen, die sich im Abrahamkreis finden, … auf Isaak übertragen“ werden. So wird nicht nur „eine Geschichte aus diesem Kreis auf Isaak und Rebekka“ übertragen, sondern „die beiden Überlieferungsstränge“ werden als „Generationen“ noch fester zusammengebunden.

Die drei Versionen und ihr Verhältnis zueinander

Es ist bereits deutlich geworden, in welcher Richtung Irmtraud Fischer (S. 191) die Frage „nach dem Alter der einzelnen Versionen“ beantwortet und damit auch die Frage,

ob am Beginn eine moralisch bedenkliche Ehebruchsgeschichte (Gen. 12) stand oder von einer bloß möglichen Gefährdung der Ahnfrau (Gen 26) erzählt wurde und somit die historische Entwicklung des Stoffes eine Verharmlosung (17) oder vielmehr eine dramatische Steigerung (18) desselben belegt.

Ihr zufolge (S. 193) lassen die

bisherigen Arbeitsschritte … vermuten, daß Gen 12 der älteste Text ist und somit eine Entwicklung des Stoffes hin zur Rechtfertigung des Erzelternpaares in bezug auf seine Lauterkeit anzunehmen ist. Die auffallend vielen gemeinsamen Elemente, die teils wortwörtlich gleich in allen drei Erzählungen vorkommen, lassen den Verdacht aufkommen, daß die Texte literarisch voneinander abhängig sind. Eine derartige Häufung von Gemeinsamkeiten ist kaum mehr nur überlieferungsgeschichtlich durch einen mündlich vorliegenden Erzählstoff zu erklären…

Aus ihrer eingehenden diesbezüglichen Argumentation greife ich lediglich heraus (S. 209), dass vom

heutigen Bestand der Erzelternerzählungen her … der Erzählstoff eher in den Sara-Abrahamkreis [passt], da dort das Motiv der Unfruchtbarkeit der Mutter fest verankert ist und mit einem lange Zeit kinderlosen Ehepaar zu rechnen ist (die priesterschriftlichen ‚Lebensdaten‘ sind hier außer Acht zu lassen). Dieses Motiv ist im Rebekka-Isaakkreis wohl später nachgetragen (vgl. 25,21).

Dazu merkt sie u. a. an (S. 193f., Anm. 281), wie „auffällig“ es ist,

daß selbständiges Überlieferungsgut über diese Erzelterngeneration mehr an der Ahnfrau als am Erzvater hängt. In allen eigenständigen, nicht aus dem Abrahamkreis wiederkehrenden Erzählungen dominiert Rebekka! … Man wird den Eindruck nicht los, daß Isaak als Erzvater die erzählerisch-genealogische Verbindung zwischen den beiden ‚starken‘ Erzvätern Abraham und Jakob ist…

Gegen das Argument (S. 210), dass im Blick auf die „Gestalt des betrogenen Herrschers … die Handlung eher zum Kolorit eines Kleinstaates, denn in das Großreich Ägypten“ passt, wendet Fischer ein, dass

  1. „in allen drei Versionen … auf alle Fälle mit dem Königtum eine Stadtkultur vorauszusetzen [ist], nicht aber ein nomadisches Scheichtum, wie es sich in Gen 21,22ff. und 26,12ff. durch das Auftreten Abimeleks nahelegen würde“,
  2. möglicherweise (S. 210f.) „ein vorliterarischer Erzählstoff keine präzise Lokalisierung und damit auch keine namentliche Nennung des fremden Herrschers gekannt hat“ und somit irgendein „König im Süden (im Negeb?) … der ursprüngliche ‚fremde Herrscher‘ gewesen sein“ könnte,
  3. man die Gestalt dieses fremden Herrschers (S. 210) ebenso auf den ägyptischen Pharao wie später „auf den bereits im Erzählkreis verankerten Abimelek“ übertragen konnte.

In welche genaue zeitliche Abfolge (S. 213) sind nun die insgesamt von Irmtraud Fischer herausgearbeiteten „vier Bearbeitungen des Stoffes, Gen 12.20G.20B.26“ zu bringen?

Die „Bearbeitungsschicht von Gen 20“ ordnet Fischer als die späteste dieser Versionen in die Zeit nach dem babylonischen Exil ein, und zwar vor allem, weil sie „jener Schicht an[gehört], die auch das Gespräch Abrahams mit Gott über Sodom (18,23ff.) miteinträgt“. Vor allem (S. 216) „von ihren theologischen Ideen her (zB. die Frage nach Gottes Gerechtigkeit in der Vergeltung für Gerechte und Ungerechte 20,4; die Rolle Abrahams als fürsprechender Prophet 20,7.17)“ muss die Schicht Gen 20B ein „spätes literarisches Werk“ sein, „das keinesfalls vorexilisch sein kann, sondern frühestens exilischen, eher aber nachexilischen Ursprungs ist. Da in ihr (S. 214) die Tendenzen der „Entlastung des Erzvaters von einem Vorwurf, er hätte seine Frau leichtfertig preisgegeben“, aus der Version Gen 26 noch verstärkt werden, indem etwa „die Geschwisterbeziehung ebenso als Realität hingestellt wird wie die Ehebeziehung (20,12)“ und damit „die Lüge … zu einer (halben) Wahrheit geworden“ ist, „wenngleich deren andere Hälfte verschwiegen wird“, muss die Geschichte im Kapitel 26 älter sein als die Bearbeitungsschicht im Kapitel 20.

Die Version Gen 26 wiederum hatte Fischer ja bereits als nachgestaltete Erzählung auf Grund der ihr vorliegenden Erzählungen Gen 12 und Gen 20G beurteilt. In einem längeren Argumentationsgang begründet sie ihre Auffassung (S. 223), dass diese Geschichte im Kapitel 26 an der „Nahtstelle zwischen Abraham- und Jakobkreis“ deswegen noch einmal erzählt wird, um die „beiden Erzählkreise“ enger aneinanderzubinden:

Isaak wird als genealogisches Bindeglied zwischen den Herkunftstraditionen des Südens und des Nordens, als Sohn Abrahams und gleichzeitig Vater Jakobs, mit einem eigenen Erzählstück abgehoben. Daraus läßt sich nun auch die Form der nachgestalteten Erzählung dieses Kapitels erklären: Um die beiden selbständigen Überlieferungskreise fester aneinanderzubinden, füllt man den Rebekka-Isaakkreis mit Material aus dem Sara-Abrahamkreis auf.

Das „Verhältnis der beiden älteren Versionen Gen 12 und 20“ schließlich ist nach Fischer so zu bestimmen (S. 227), dass „beinah alle“ Argumente „zugunsten des höheren Alters von Gen 12“ sprechen:

Von der narrativen Technik her ist Gen 12 die kompaktere Erzählung als Gen 20G, die auf weite Passagen nur aus direkten Reden gestaltet ist und durch den nachholenden Stil Informationen über Probleme erst dann gibt, wenn diese bereits gelöst sind.

Gen 20G liefert einige Informationen, die für das Verständnis des Handlungsverlaufes notwendig sind, überhaupt nicht (die Motivationen zum Verlassen des Landes sowie zur Aufnahme Saras in den Harem). Man gewinnt den Eindruck, daß die Informationen von Gen 12 vorauszusetzen sind.

Andererseits ist Gen 20G bemüht, erzählerische Lücken, die aufgrund des überaus knappen Erzählstils in Gen 12 klaffen, mit konkreten Angaben aufzufüllen, … [z. B.] wie denn der König die Unbilden mit der fremden Frau in seinem Harem in Verbindung bringt … [und dass die] Warnstrafe für den König … mit Unfruchtbarkeit für sein ganzes Haus veranschaulicht wird. Diese Erzählstrategie des Auslassens von bereits gegebenen Informationen und des Nachtragens von fehlenden läßt auf ein gezieltes Fortschreiben einer bereits vorhandenen Erzählung schließen.

Somit lässt sich nach Fischer im Ablauf der aufeinander folgenden Versionen eine klare Tendenz herausstellen (S. 229):

Sie zielt auf eine Entlastung der Akteure, auf eine Verharmlosung des Geschehens und eine Verherrlichung des göttlichen Schutzes.

Die damit verbundene (S. 228f.)

Verschiebung des Interesses hat aber auch seine Auswirkung auf die Hauptperson des Geschehens von Gen 12: Sara, auf deren Kosten Abraham gut leben will und um deretwillen JHWH rettend eingreift, wird immer mehr von einem Opfer zu einer Mittäterin. Das Unrecht, das man ihr antut, gerät immer mehr aus dem Blickfeld. Die Rettung Saras aus dem Harem wird zu einer göttlichen Bewahrung im Harem. Vorerst wird sie durch die Unfruchtbarkeit Abimeleks vor jeglicher definitiven Eingliederung in dessen Haus bewahrt, in Gen 20B schließlich sogar vor jeglicher Berührung. Dadurch wird einerseits die göttliche Tat gesteigert, der Ehemann und selbst der König entlastet, andererseits aber auch sie vor jedem Verdacht außerehelicher Beziehungen bewahrt!

Thematisch mit den Preisgabeerzählungen verwandte biblische Texte

Obwohl (S. 230) der Erzählstoff der „Gefährdung und Preisgabe der Ahnfrau aufgrund der Verleugnung der Ehebeziehung und ihre Bewahrung und Rettung durch JHWH im fremden Land“ als so bedeutend angesehen wird, dass er „innerhalb weniger Kapitel der Genesis dreimal erzählt“ wird, findet „sich im ganzen AT keine unmittelbare Parallele dazu“. Es gibt aber durchaus Texte, „die von der Thematik her verwandt sind“. Da Irmtraud Fischer die „Frau als Hauptperson“ wertet, bezieht sie dabei Texte ein, „die vom Ausliefern von Frauen, von ihnen aufgezwungenen sexuellen Beziehungen, vom ‚Verschachern‘ von Ehefrauen handeln.“ Indem sie „in solchen Texten auch der Darstellung der Charaktere der preisgebenden und begehrenden Männer, sowie deren Aktivität bzw. Passivität“ nachgeht, macht sie „gleichsam die Gegenprobe…, ob die Deutung als Preisgabeerzählung zutreffend ist“.

Dina

In der Geschichte der Dina in 1. Mose 34 (S. 232f.) wird eine

Frau aus der Familie der Erzeltern … in einem fremden Territorium von einem Mitglied des betreffenden Herrscherhauses begehrt und zur Frau genommen. Gen 34 ist die Sippe jedoch nicht im Status der Fremdlinge, sondern als eigenständige (durchwandernde?) Gruppe anzusehen, die einen Versuch zur Seßhaftwerdung in diesem Gebiet macht (vgl. 33,18f.). …

Die Erzählung kann jedenfalls nicht als Beispiel dafür genommen werden, daß die Erzelternsippe bei Eintritt in ein fremdes Hoheitsterritorium damit rechnen mußte, daß ihre Frauen behelligt werden, bzw. daß die Männer in der Gefahr standen, wegen ihrer schönen Frauen umgebracht zu werden. Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das überall geschehen kann, auch innerhalb der eigenen Sippe und Familie (vgl. 2Sam 13). Daß selbst Ehefrauen der Erzväter nicht vor anderen Männern ihrer eigenen Familie in bezug auf sexuelle Übergriffe gefeit waren, davon wird Gen 35,22 erzählt.

Zwar wird (S. 233) zunächst die „Vorstellung von der sexuellen Unbeherrschtheit der fremden Städter … in Sichem“ bestätigt, aber da es „offizielle Heiratsverhandlungen“ gibt, in denen der junge Mann „sich bereit zeigt, alle Bedingungen anzunehmen“, kann

auch in Gen 34 nicht davon die Rede sein, daß der fremde Herrscher brutal seine Macht gegen die rechtlich mindergestellte Sippe ausnützt und sich Frauen nach seiner Wahl und zu seinen Bedingungen aneignet. Gen 34 liefert damit keine zureichende Begründung dafür, daß die Angst des Erzvaters in den Preisgabeerzählungen berechtigt, und daher die Lüge als einzig sinnvoll-notwendiger Ausweg konsequent wäre.

Wie beim (S. 233, Anm. 337) „betrügerischen Ehevertrag Labans mit Jakob Gen 29“ oder bei der „Verstoßung Hagars, die mit Abraham in Geschlechtsgemeinschaft lebt“ in Gen 21 zeigt also auch Gen 34, dass „der Erzelternsippe in bezug auf Eheverträge nicht zu trauen ist“ und dass „auch die Preisgabeerzählungen … vom Blickwinkel des fremden Königshofes zu den Betrugsgeschichten“ gehören, die sich weiterhin „vor allem im Jakobszyklus finden“ (19):

Gerät Gen 12.20 der fremde Herrscher durch die rechtlich korrekte Aufnahme der Frau in Todesgefahr, so bezahlen die Sichemiten ihren ernst gemeinten Verschwägerungsversuch tatsächlich mit dem Leben. Die Berührung der Erzelternsippe mit fremden Männern, die deren Frauen begehren, bringt also eher jene in Gefahr als die Patriarchen!

Michal

Im Vergleich zu den Preisgabeerzählungen im 1. Buch Mose bringt Irmtraud Fischer (S. 234) auch Michal, die „Tochter des ersten Königs Israels und Frau des zweiten Königs“ ins Spiel, deren Schicksal „durch eine Abfolge männlicher Willkürakte geprägt“ wird. Sie selbst liebt David (1. Samuel 18,20), ob auch er sie liebt, wird nirgends erzählt. Sie „wird von ihrem Vater Saul als Lockvogel benützt, um David den Tod zu bringen“; als David wider Erwarten den geforderten „Brautpreis von hundert Philistervorhäuten (18,25)“ sogar noch weit übertreffen kann, verkauft Saul sie tatsächlich als Ehefrau an David. Nachdem David vor Saul fliehen muss, gibt er sie aber „einem anderen Mann, Palti(el), zur Ehe … (1Sam 25,44).“

Im Zuge des Bürgerkriegs nach Sauls Tod nimmt wiederum David als „Israels König … [diesem] Mann seine Ehefrau weg!“ Insofern geschieht in dieser Erzählung das, „was Abraham vom fremden Herrscher befürchtet“. Allerdings (S. 235) ist der „Ehemann … jedoch nicht vom Tod bedroht, sondern läuft weinend hinter Michal her (V16)“, lässt sich dann aber ohne weiteren Widerstand zurückschicken. Ähnlich (S. 236) wie

in den Preisgabeerzählungen ist die verschacherte Ehefrau ausschließlich stummes Opfer, über ihre Gefühle wird uns nichts überliefert; sie sind irrelevant, wenn die rechtlich stärkeren Männer ihre Entscheidungen treffen – seien sie nun fordernd oder angstbestimmt. Über die Position JHWHs in diesem Frauenhandel schweigt der Erzähler!

Batseba

Häufig werden (S. 236) die „Preisgabeerzählungen“ auch parallel zur „Erzählung vom Ehebruch Davids mit Batseba“ gesehen. In 2. Samuel 11 (S. 237)

wird David tatsächlich als ein skrupelloser Machthaber dargestellt, der über die Frauen von sozial Niedrigergestellten nach Belieben verfügt: Urija ist Hethiter, Fremdling in der Volksgemeinschaft Israels, er dient jedoch als Söldner im Heer Davids. Daß Batseba seine Ehefrau ist, wird David nicht verschwiegen, sondern ist dezidierte Auskunft seiner zur Erkundigung ausgesandten Botschafter. Dessenungeachtet läßt David sie holen, schläft mit ihr und schickt sie wieder ins eheliche Heim zurück. Der Pharao hingegen wird bezüglich des Rechtsstatus der Frau bewußt getäuscht. Er nimmt die Frau zudem nicht nur für ein ‚Abwechslung bietendes Vergnügen für eine Nacht‘ in sein Haus auf, um sie wieder zurückzuschicken, sondern er nimmt sie als eine rechtmäßige Ehefrau in seinen Harem auf; legal, mit Bezahlung eines Brautpreises. Das ‚Nehmen‘ Saras durch den Pharao konstituiert also eine Ehe, während das bei David gegenüber Batseba ausdrücklich nicht beabsichtigt ist. Die weitere Vorgangsweise Davids zeigt dies deutlich: Um die Folgen des bewußt vollzogenen Ehebruchs zu verdecken, versucht er die Schwangerschaft Batsebas durch deren Ehemann Urija zu legitimieren. Als Urija sich weigert, sein Haus auch nur zu betreten, geschweige denn mit Batseba zu verkehren, läßt David ihn in einer Kriegshandlung ermorden. Erst dann tut er, was er urspünglich nicht vorhatte: Er nimmt Batseba als Ehefrau in sein Haus auf.

Somit ist „Batseba ohne den Schutz ihres an der Front befindlichen Mannes“ und muss „wehrlos dem Begehren des Königs folgen“, während „Sara hätte den Schutz eines Mannes“ hätte,

dieser jedoch ist angstbesessen und versucht erst gar nicht, die Ehefrau zu bewahren, sondern gibt sie vollen Bewußtseins preis, indem er sie als Schwester deklariert und so erst für einen anderen Mann verfügbar macht.

Auf der anderen Seite (S. 238) wird „der Pharao unwissentlich zum Ehebrecher, der sofort bereit ist, das Unrecht wiedergutzumachen“, während „David jeweils mit voller Klarheit über die Verhältnisse“ handelt und vor „jedem seiner Verbrechen … offengelegte Barrieren zu überwinden“ hat.

Als weiteren (S. 239) „wesentlichen Unterschied“ der beiden Geschichten vermerkt Irmtraud Fischer: „JHWH greift nicht ein, um Batseba zu retten, wie er es für Sara getan hatte!“

Insofern sieht Fischer (S. 240) in 2. Samuel 11 gerade „keine Parallelgeschichte, sondern eher eine Kontrastgeschichte zur Preisgabeerzählung“. Wer die Preisgabeerzählungen kennt, muss es um so skandalöser finden, dass „der israelitische König vorsätzlich, und eben nicht unwissentlich, Ehebruch begeht“, während der Hetiter

Urija als tragisch-positive Gegenfigur zum Erzvater Israels gezeichnet [wird], welcher bewußt seiner Frau den Schutz versagt und sie durch die vorgetäuschte Geschwisterbeziehung sexuell verfügbar macht. …

Beiden Erzählungen ist die Sichtweise der Rolle der Frau gemeinsam: sie ist ausschließlich stummes Opfer, ohne Schutz vom Ehemann, wehrlos gegenüber dem Machthaber, dem sie sich auch sexuell nicht verweigern kann. Da weder von Sara noch von Batseba von einer Reaktion erzählt wird, kann man nicht einfach von Vergewaltigungsgeschichten sprechen; Geschichten über sexuelle Nötigung von Frauen sind es aber allemal!

Nebenfrau des Leviten

Schließlich macht Fischer (S. 240f.) auf die „Geschichte des Sexualmordes an der Nebenfrau des Leviten“ in Richter 19f. aufmerksam, die

nur einen Zug mit den Preisgabeerzählungen gemeinsam [hat]: Aus Angst, selber in Todesgefahr zu kommen, gibt ein Mann seine Frau preis. … Wie bei Batseba greift JHWH auch hier nicht ein. Die schutz- und wehrlose Frau wird zu Tode vergewaltigt.

Hier ist die Gefahr für den Ehemann wesentlich realer dargestellt als in den Preisgabeerzählungen, obwohl man sich „im eigenen Land“ bewegt; aber in

beiden Erzählungen weigern sich Ehemänner, ihren Frauen Schutz zu gewährleisten; sie bringen sich erst gar nicht in die Lage, ihre Frauen zu verteidigen, sondern geben sie kampflos preis.

Die Preisgabeerzählungen als Kontrastgeschichten zur Erzählung von David und Batseba

Aus der Betrachtung der Parallelen zu den Preisgabeerzählungen zieht Irmtraud Fischer den Schluss (S. 241), dass sie und die Geschichte „um David und Batscheba, 2Sam 11“ ursprünglich bewusst „als Kontrastgeschichten zueinander angelegt“ wurden.

Daraus legt sich für sie (S. 242) „auch eine grobe zeitliche Einordnung von Gen 12“ nahe (20):

Wird in den EEE die frühe Volksgeschichte als Familiengeschichte geschrieben, so in der Erzählung von König David die beginnende ‚Staatsgeschichte‘. So ließe sich auch eine Übertragung der fremden Herrscherpersönlichkeit auf den Pharao stimmig erklären: Daß entsprechend dem Selbstverständnis der davidischen Königsdynastie der begehrende Herrscher nicht ein kleiner Stadtkönig sein kann, sondern standesgemäß der König des Nachbarstaates Ägypten ist, legt sich nahe. …

Die spezifische Ausformung von Gen 12 wäre damit als ein kritischer Reflex auf jene Erzählungen zu werten, die die Ereignisse am Davidshof darzustellen versuchen. Nicht nur die Erzählung um David und Batseba, sondern auch die Geschichten um Michal, die ja ebenso von der Thematik her verwandt sind, punkten zugunsten dieses Sitzes im Leben. (21)

Dieses kritische Interesse kann nach Fischer „eine hinreichende Motivation für eine schriftliche Fixierung einer mündlichen Überlieferung“ über die Preisgabe einer Ehefrau durch einen Erzvater Israels dargestellt haben. Einerseits (S. 243) wurde

Kritik daran [geübt], wie Israel (im Sinne einer Volksgeschichte) mit seinen Frauen umzugehen pflegt, andererseits, in Gegenüberstellung von David und Pharao, Kritik am Recht und Sitte mißachtenden eigenen König.

Auffällig ist nach Fischer, dass Israel in „den Preisgabeerzählungen … auf alle Fälle keinen Fremdenhaß“ hegt:

Der fremde König wird im Vergleich zu den eigenen Leuten als betrogener Edelmann gezeichnet! Es ist auffällig, daß sowohl in den besprochenen drei Perikopen als auch in den Preisgabeerzählungen alle Fremden positiver gezeichnet werden als die eigenen Volksgenossen: der Pharao, Abimelek, Sichem und Hamor, Paltiel und Urija, selbst der Fremdling in Gibea, der dem Leviten Gastfreundschaft anbietet und in Lot sein Vorbild hat. Sie alle werden mehr oder minder – wie die eigenen Frauen – zu Opfern israelitischer Männer, die lügen, vertragsbrüchig sind und morden, aus politischer Räson Ehefrauen an sich reißen, die Gastfreundschaft mißachten, Frauen vergewaltigen und die Ehe brechen.

Trotzdem geht es natürlich in diesen Geschichten nicht darum, verallgemeinernd das Volk Israel gegenüber anderen Völkern als moralisch verwerflicher darzustellen. Vielmehr ist ein selbstkritischer Zug festzustellen, der auf Gottvertrauen beruht (S. 243f.):

Israel schreibt seine eigene Geschichte eben nicht als makellose Heldensage oder Heiligenlegende, sondern eher mit dem Blick prophetischer Kritik an den eigenen Reihen. Es zeichnet seine eigene Herkunft mit sehr kritischem Blick, zugleich aber mit der Zuversicht, daß sein Gott Recht schafft und durch sein Erbarmen von Unterdrückung und auch Schuld befreit.

Das heißt also (S. 244):

Die von der Thematik her verwandten Texte stützen daher nicht die Deutung der drei Erzählungen als Geschichten von skrupellosen Herrschern, die fremde (Ehe-)Frauen begehren und deren Männer zu ermorden trachten. Vielmehr wird die Deutung als Preisgabeerzählungen bestätigt. Israel weiß in seinem Erzählen um die Schutzlosigkeit von Frauen in einer von Männern bestimmten Gesellschaft und erkennt, daß die den Frauen aufgezwungene Opferrolle nicht im Sinne seines Gottes ist, (22) wenngleich es seine Kritik nicht immer so deutlich artikuliert wie in der scharfen Rüge Natans an David.

Offen bleibt aber noch die Frage, warum Israel nur in „den Preisgabeerzählungen … einen Gott“ bezeugt, „der dem Unrecht an den Frauen nicht tatenlos zusieht, sondern rettend für sie eingreift“, während eine solche Rettung in den Geschichten des Richter- und Samuelbuches nicht stattfindet. Im letzten Kapitel ihres Buches wird Irmtraud Fischer nachweisen, dass „dieser markante Unterschied“ aus dem Zusammenhang „zu erklären ist“, in den die Erzelternerzählungen eingebettet sind.

Wirkungsgeschichte der Preisgabeerzählungen in außerbiblischen Texten

Auf die (S. 244) „Wirkungsgeschichte“ der Preisgabeerzählungen „im nachbiblischen Schrifttum“ wirft Irmtraud Fischer einen ausführlichen Blick, um zu überprüfen (S. 245), ob evtl. doch entgegen ihrer Überzeugung, „daß die anstößigste Version, Gen 12, die älteste ist“, der Erzählstoff sich „von einer harmlosen Geschichte hin zu einer dramatischen Steigerung des Erzählverlaufes, der in einem Ehebruch gipfelt“, entwickelt haben könnte. Lässt sich für „die außerbiblischen Versionen“ die innerbiblische „Tendenz bestätigen“, die „eindeutig in Richtung einer Rechtfertigung der Erzeltern und einer dramatischen Steigerung der Bewahrung durch Gott“ verläuft, „der die Ahnfrau selbst im Harem des fremden Königs noch vor Übergriffen zu retten vermag“?

Das ist eindeutig der Fall (die fetten Hervorhebungen der Titel in den folgenden Zitaten stammen von mir, H. S.).

So wird im „Jubiläenbuch“ die „angebliche Geschwisterbeziehung“ von Abraham und Sara „von Anfang an vorausgesetzt“ und (S. 246) die „Lüge der Geschwisterbeziehung … schweigend übergangen“. Stattdessen wird „Abraham unschuldiges Opfer eines brutalen Übergriffs des Pharaos“, der ihm seine Frau raubt.

Das „aramäische Genesis Apokryphon von Qumran“, in dem „Abraham im Ich-Stil spricht“, verstärkt weiter (S. 249) das

Image Abrahams (vgl. Gen 20B), der ob seiner Gottesnähe betend für einen anderen einzutreten vermag… Die Ägypter werden zwar nicht zu Wüstlingen verfremdet, der Ehemann ist jedoch tatsächlich in höchster Gefahr, wegen seiner schönen Frau getötet zu werden.

Im „Midrasch Bereschit Rabba“ wird zwar (S. 251) an einer Stelle „die Deutung der Geschichte als Preisgabeerzählung unterstützt, ja … sogar noch überspitzt“, wenn Abraham vorgeworfen wird: „Du bist nach Aegypten gegangen und hast dort Handel mit der Sara getrieben (d.i. du hast durch sie dein Vermögen erworben)…“, aber andere

Passagen legen die Geschichte eindeutig zuungunsten Saras aus, sie ist nunmehr die Schuldige, die entgegen der üblichen Sittsamkeitsvorstellungen die Beherrscherin ihres Mannes ist, sich ihm verweigert. Ihre Schönheit bedarf einer textilen Verhüllung, um den Männern eine weitere Gefährdung durch sie zu ersparen. Mit der Rückgabe der Ehefrau werden die patriarchalischen Verhältnisse wieder in ihre Ordnung gebracht. Gehen die meisten außerbiblischen „Nacherzählungen“ des Stoffes zu Lasten des fremden Herrschers, so diese zu Lasten der Ahnfrau. Allerdings findet sich nirgends sonst eine negative Beurteilung des Verhaltens des Erzvaters. Insofern ist der Midrasch hier in allen Teilen den Erzeltern gegenüber kritisch eingestellt.

Josephus wiederum in seinen „Antiquitates“ fügt in seine Nacherzählung von 1. Mose 12 hinzu, dass Abraham nicht nur wegen der Hungersnot nach Ägypten ziehen will, sondern auch aus „Neugierde nach der ägyptischen Religion, die er prüfen möchte und zu der er, falls sie sich als besser als die eigene erweisen sollte, konvertieren will (1,161).“ Insgesamt (S. 253) wird Abraham als der

weise, gelehrte Intellektuelle, der sich vom Verstand leiten läßt, vorausschauend ist und danach handelt, zu diskutieren und zu lehren vermag, … dem von der Begierde und den Trieben geleiteten Pharao gegenübergestellt. Die dramatische Steigerung des Stoffes geht also zulasten des Pharaos und zugunsten einer Steigerung der untadeligen Persönlichkeit Abrahams, keinesfalls aber hin zu einer drastischen Ausmalung einer ursprünglich harmlosen Geschichte.

Schließlich werden in Philos Werk „De Abrahamo“ (S. 255) „Abraham als Sinnbild des Geistes, Sara als das der Tugend, der Pharao jedoch als jenes des Lasters gezeichnet (De Abrahamo 99-106)“ und damit auch bei ihm die „Tendenzen der Glorifizierung des Erzvaters, der Hochstilisierung Saras zur schönen, keuschen Frau und der sukzessiven ‚Verteufelung‘ des Pharao … eindeutig bestätigt.“

Insgesamt stellt Irmtraud Fischer fest, dass in der außerbiblischen „Wirkungsgeschichte der Erzelternerzählungen“ Frauen als „Haupthandlungsträger oder Objekte der Handlung“ nicht mehr im Blick sind.

Die nachbiblischen Nacherzählungen der EEE sind nun tatsächlich Erzählungen über die Erzväter, die Frauentexte werden nicht mehr als solche thematisiert.

Mit der Ausnahme des o. g. Midrasch (S. 255f.) wird überall das

Bild des Patriarchen Abraham … glorifiziert, er ist der Bundesträger, der Inbegriff des gehorsamen Gottesfürchtigen und weisen Gelehrten; sein Leben bekommt legenden- und heroenhafte Züge. Daß in ein solches Abrahambild, das seinen Gipfel im Testament des Abraham darin findet, daß er als sündeloser Mensch dargestellt wird, keine Preisgabeerzählung im Sinne von Gen 12 paßt, versteht sich von selbst.

Damit bezeugt nach Fischer die „außerbiblische Wirkungsgeschichte des Stoffes … eindeutig eine Verharmlosung der Geschichte und keineswegs eine dramatische Steigerung“; sie setzt die biblische Tendenz fort, „den skandalumwitterten Erzählstoff zu beschönigen und die Erzeltern in ihren Handlungen zu exkulpieren“, und zwar „bis hin zu einer Idealisierung und Tabuisierung des Erzelternpaares in bezug auf derlei hinterlistige Aktionen“.

Dabei werden (S. 257) aber „beinah ausschließlich die beiden anrüchigen älteren“ Versionen fortgeschrieben und „nicht die jüngste, harmloseste Version von Gen 26“. Das ist nach Fischer bereits in der Bibel dadurch angelegt, dass schon die „jüngste innerbiblische Bearbeitung des Stoffes“, nämlich Gen 20B, nicht wie Gen 26 die Gefährdung der Ahnfrau als solche verneint, sondern herausstellt, dass „in akuter Notlage Gottes Eingreifen das Schlimmste – den Ehebruch – verhindert.“ Da außerdem (S. 258) die „harmlosere Version … von Isaak und Rebekka erzählt“ wird, mussten erst recht die anderen Erzählungen neu nacherzählt werden, um „das Anrüchige von Abraham und Sara zu nehmen“.

Irmtraud Fischers Fazit am Ende dieses längsten Kapitels ihres Buches über die Preisgabeerzählungen innerhalb der Traditionen über die Erzeltern:

Die durchaus differenzierenden Traditionen der hebräischen Bibel, die menschliches Handeln sehr wirklichkeitsnahe beschreiben, setzen sich einzig und allein im Midrasch fort, jener Schrift, die von allen besprochenen die bedeutendste für das Judentum geworden ist. Die christliche Wirkungsgeschichte zeugt hier von wesentlich weniger Realitätssinn: die Schriften des Neuen Testaments schließen sich jenen an, die über solche Geschichten lieber den Mantel des Schweigens breiten!

Zwei Geschichten von Hagars Flucht oder Vertreibung

Noch (S. 259) eine weitere „Geschichte im Abraham-Sara-Kreis“ handelt „von einer Frau“, und auch sie wird zwei Mal sehr unterschiedlich überliefert. In 1. Mose 16 wird „die Trennung Hagars von ihrem Herrenhaus“ erzählt („mit der Vorgeschichte, wie es zur Eingliederung der Sklavin in die Familie und ihrer Schwangerschaft kam“) und in 1. Mose 21 die „Vertreibung der Sklavin mit ihrem Sohn“. In beiden Fällen erfährt Hagar Hilfe und Rettung, indem sie „dem Boten Gottes“ begegnet.

Hagars Flucht: 1. Mose 16,1-16

In 1. Mose 16 unterscheidet Irmtraud Fischer zwischen einer ursprünglichen Grunderzählung Gen 16G, in der (S. 263f.) „Sara… die treibende Kraft hinter all dem Geschehen“ ist und in der aber trotzdem Hagar als aus der Not gerettetes Opfer dieses Geschehens in den Mittelpunkt gerückt wird, und zwei späteren Bearbeitungen. Letztere Teile des Textes versehe ich mit violetten und roten Markierungen. Hinzu kommt ein Überlieferungsstück, das noch älter als die Grunderzählung ist (in blauer Markierung):

1 Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar.

2 Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais.

3 Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.

4 Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering.

5 Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir.

6 Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.

7 Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.

8 Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.

9 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.

10 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.

11 Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört.

12 Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.

13 Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.

14 Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered.

15 Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.

16 Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.

Vers 3 beurteilt Fischer (S. 262) unter anderem deswegen als späteren Einschub, weil dem Abram hier „Hagar … ‚zur Frau‘ (und nicht etwa zur Nebenfrau!) gegeben wird“ und dadurch „rechtlich ein Eheverhältnis“ begründet wird, während die „Grunderzählung … konsequent beim Terminus ‚Sklavin‘ als Standesbezeichnung“ bleibt, was ja ohnedies geschlechtlichen Umgang des Herrn mit ihr nicht ausschließt. (23)“ Dass dieses offensichtliche Interesse an der Darstellung des Kindes der Hagar „als (legitimen) Sohn Abrahams … erst wieder in V15f. aufgegriffen wird“, spricht für einen Zusammenhang von Vers 3 und 15-16 als nachträgliche Bearbeitung der Erzählung. Vor allem die „Zeit- und Ortsangabe“ innerhalb von Vers 3, die „das Geschehen in die Lebensgeschichte des in der ganzen Handlung passiven Erzvaters“ einordnet, weist eindeutig darauf hin, dass diese Verse zur Priesterschrift gehören.

Dasselbe gilt (S. 263) für

die Verse 15-16 als Abschluß der Geschichte: Es fehlt die Ausführungsnotiz zum Rückkehrbefehl V9, sie ist in V15f. stillschweigend vorausgesetzt. V11 wird ausdrücklich auf die Benennung des Kindes durch die Mutter verwiesen, V15 gibt nun aber der Vater den Namen, der jedoch Ausdruck einer Erfahrung der Mutter ist. Das gezielt von Sara für sich geplante Kind wird in V15 ausschließlich vom Vater als Sohn angenommen. Von der Stellung Saras zu Ismael erfährt man kein Wort. …

V16 richtet durch die Verankerung des Kindes in der Lebensgeschichte Abrahams wiederum – wie schon V3 – die gesamte Begebenheit ausschließlich auf den Patriarchen hin aus.

Auch (S. 264) der Vers 9 mit dem „Rückkehrbefehl“ des Engels an Hagar muss nach Fischer später hinzugefügt worden sein, da die

ursprüngliche Geschichte … in V14 durch die Brunnenätiologie [= Erklärung des Namens] nur dann einen befriedigenden Abschluß [erfährt], wenn angenommen werden kann, daß Hagar mit ihrem Sohn in der Gegend des Brunnens wohnen bleibt.

Ohnehin fällt auf, dass die drei Verse 9 bis 11 alle mit derselben vollständigen Redeeinleitung WaJJOˀMäR LaHH MaLˀAK JHWH (= „Und es sprach zu ihr der Bote JHWHs“) beginnen, ohne dass „Hagar die Rede des Engels … durch eine Antwort unterbricht“, was dafür spricht, dass zwei von ihnen „zum Verständnis des Erzählten unnötig“ sind und „nur als sekundärer Einschub gedeutet werden“ können.

Nachdem der Engel in Vers 8 Hagar nach ihrer „Herkunft und Zukunft“ fragt und „die Sklavin denn auch wahrheitsgetreu“ auf die erste Frage antwortet, „ist vom Boten ein Gotteswort“ über

Hagars zukünftiges Schicksal … zu erwarten. Er aber schickt Hagar wieder in ihre Vergangenheit zurück. Sie soll mit göttlicher Sanktion unterdrückte Sklavin bleiben.

Der folgende Vers 10 enthält „eine Mehrungsverheißung für die ausländische Sklavin, wie sie sonst nur den Patriarchen selber gegeben wird“ (zum Beispiel in 1. Mose 15,5; 22,17; 32,13) und ist nach Fischer ebenso wenig ursprünglich wie Vers 9 (S. 264f.):

Nach dem harschen Befehl von V9 wirkt diese üppige Verheißung wie ein Köder, der die Zumutung der neuerlichen Unterdrückung verlockend machen soll.

Für die nachträgliche Einfügung der Verse 9-10 spricht auch (S. 265), dass in ihnen mit

keinem Wort … auf Hagars Zustand der Schwangerschaft verwiesen [wird]. Dies geschieht erst V11 im Geburtsorakel, das einen Namen für das Kind vorschlägt, der mit der Erhörung der Not seiner Mutter verbunden wird. Die Namenerklärung V11b steht nun aber in unvereinbarer Spannung zum Rückkehrbefehl in V9. Dort wird Hagar befohlen, sich neuerlich unterdrücken zu lassen, hier hört JHWH auf die Unterdrückung der Sklavin und stellt für ihren Sohn ein Leben in Freiheit und Ungebundenheit in Aussicht (V12). Die Erklärung des Ismaelnamens und das Orakel für den Lebensweg des Kindes sind daher dann sinnvoll, wenn seine Mutter aus ihrer Unterdrückung erlöst wird.

Dass „die Aufforderung zur Rückkehr in V9 nicht zur Grunderzählung gehört, sondern erst später eingefügt wurde“, lässt sich unschwer dadurch erklären, dass

die Geschichte Gen 21 mit leichten Modifikationen nochmals erzählt wird. Um die Version von Gen 21 … nach Gen 16 noch erzählen zu können, muß Hagar in ihr Herrschaftshaus zurückgebracht werden.

Für Vers 10 erwägt Fischer, dass hier nicht in sehr später Zeit die erwähnten Verheißungen an die Patriarchen Abraham und Jakob zitiert und auf Hagar übertragen werden, zumal „eine späte Einfügung einer derart großen Verheißung für die Stammmutter der Ismaeliter in nachexilischer Zeit eher problematisch“ erscheint. Da sich in ihrer Untersuchung bereits gezeigt hat, dass „sich späte Texte mehr auf das männliche Element“ konzentrieren und „teils … sogar Geschichten von Frauen auf deren Männer übertragen“ werden, hält sie es für durchaus wahrscheinlich (S. 266), dass

die Aussagen von Gen 16,10 in den betreffenden Texten zitiert werden und die Verheißungen daher ihren ursprünglichen Sitz im Leben im Spruch an eine Frau haben.

So bestätigt sich Fischers Annahme, dass

V10 zusammen mit V9 eingefügt wurde und beide Verse sekundär sind. Durch die üppige Verheißung von V10 wird der Kontrast zwischen V9 und V11 etwas geglättet und zudem ein Trostpflaster für Hagar gegeben, für die das Gotteswort sonst nur abermalige Unterdrückung bereithält. Der Vers müßte dann allerdings einer Schicht zuzuordnen sein, die die Verheißungen bereits als verbindende Elemente der Erzählungen kennt.

Auf die ausführliche literarkritische Betrachtung der Verse 13-14 möchte ich nicht im Einzelnen eingehen; Irmtraud Fischer (S. 270) geht davon aus, dass „sie wohl schon vor der Einarbeitung der als sekundär erkannten Textteile (V9f.15f.) mit dem Grundbestand der Erzählung verknüpft gewesen sein“ müssen, da sie „die Eigenständigkeit Hagars in dieser Gegend betonen und auch nicht andeutungsweise eine Verbindung zur Abrahamssippe herstellen, noch auf die Rückkehr Hagars Bezug nehmen“:

Will man nicht eine zusätzliche Bearbeitungsschicht von Gen 16 annehmen, die zeitlich vor diese Stücke anzusetzen wäre, so liegt die einzige logische Erklärung darin, daß die Grund­erzählung eine bereits bekannte Brunnenätiologie als Abschluß eingearbeitet hat. Damit wäre in V13-14 das älteste Stück des Textes zu sehen, das jedoch vermutlich nie selbständig existierte, sondern im Rahmen der Gestaltung der Grunderzählung seine schriftliche Fixierung der ursprünglich mündlichen Überlieferung erfahren hat. Hagar wird damit zu einem Gegenbild der Erzeltern, wenn sie als Ahnfrau eines freien Stammes (V12) und als Gründerfigur eines Heiligtums vorgestellt wird!

Somit lassen sich laut Fischer in 1. Mose 16 drei Erzählschichten unterscheiden:

  1. eine Grunderzählung Gen 16G, die aus den Versen V1.2.4-8.11-14 besteht und (S. 371) in die „vermutlich ältere Ätiologien, die die Namen eines Brunnens und einer Gottheit erklären, eingearbeitet“ wurden (siehe oben schwarze Schrift),
  2. eine Erweiterung in Gen 16B um die Verse 9-10, um „im Zuge der Zusammenstellung mit Gen 21 … eine abermalige Trennung Hagars und ihres Sohnes von den Erzeltern erzählen zu können“ (violette Schrift),
  3. und schließlich „priesterschriftliche genealogische Notizen“ in V3.15-16, durch die das Kapitel „zum heutigen Endtext gestaltet“ wurde.

Welche Aussageabsichten verfolgen nun die drei verschiedenen Schichten der Erzählung in 1. Mose 16? Das Kapitel steht (S. 291) im Zusammenhang mit „der Unfruchtbarkeit Saras und deren Lösungsversuch samt den aus ihm folgenden Komplikationen“. Die Verse 1-6 stellen von daher (S. 292) „eine weitere Geschichte des Kleinglaubens den Verheißungen gegenüber“ dar, obwohl die „Geschichte selbst … die Sohnes-(Nachkommenschafts-)Verheißung mit keinem Wort“ erwähnt. Hier wird „einfach die menschliche Notlage der Kinderlosigkeit“, die in Kapitel 15 „in bezug auf den Mann, dort jedoch mit Blick auf die Verheißung, abgehandelt“ wird, „von der Sicht der Ehefrau her“ vorgestellt.

Bedrückung und Rettung Hagars in der Grunderzählung Gen 16G

Die Grunderzählung Gen 16G stellt in „ihrem ersten Teil“ die Charaktere zweier Frauen und eines Mannes einander gegenüber.

Sara ergreift die Initiative, um „ihre Kinderlosigkeit zu beheben“, und zwar mit Hilfe „der gemeinorientalischen Rechtsinstitution des stellvertretenden Gebärens der Sklavin für ihre Herrin.“ Als diese Sklavin im Zuge ihrer Schwangerschaft beginnt, ihre Herrin mit Geringschätzung zu behandeln, ist Sara

nicht bereit, den Konflikt, der aus der Rebellion der Sklavin entsteht, unter Frauen auszutragen. Um sich nicht mit Hagar auf eine Ebene stellen zu müssen, ist sie bereit, sich pro forma dem Patriarchat unterzuordnen. Tatsächlich tut sie dies jedoch nicht. Sie bestimmt über ihren Mann, beschuldigt ihn mit aggressiven Vorwürfen für eine Sache, die er nicht verschuldet hat. Für ihre Interessen ist jedoch seine patriarchale Verantwortung für die Familienordnung nützlich und nur insofern gibt sie vor, sich seiner Kompetenz zu unterwerfen. Richterfunktion gesteht sie ihm allerdings nicht zu. Er ist der Angeklagte, als Richter akzeptiert sie allein JHWH. Als Abraham, der offensichtlich den Schachzug seiner Frau durchschaut, den Konflikt auf die Ebene der Frauen zurückverweist, verweigert sie sich dennoch einer vernünftigen Lösung. Sie übt das Recht der Stärkeren exzessiv aus und unterdrückt die unfreie Frau.

Die Folge ist allerdings (S. 293), dass sie damit sowohl „das bereits gezeugte Kind und ihre Sklavin“ verliert, denn die Sklavin flieht aus ihrem Einflussbereich.

Abraham reagiert gegenüber seiner „starken Frau“ eher zurückhaltend und schwach:

Er folgt vorerst fraglos den Anweisungen seiner Frau und erfüllt ihr den Kinderwunsch durch ihre Sklavin. Als durch die Schwangerschaft jedoch der Konflikt um das Ansehen zwischen den beiden Frauen ausbricht, weist er es zurück, daran beteiligt zu sein. Er argumentiert gegen die Vorwürfe seiner Frau nicht mit der patriarchalen Ordnung, sondern mit der aus dieser folgenden hierarchischen Gesellschaftsordnung, die neben der Unterordnung der Frau unter den Mann auch die Zweiteilung der Gesellschaft in Herren/Herrinnen und Knechte/Sklavinnen vorsieht. Da Sara zur ersteren Schicht gehört, hat sie Anteil an patriarchaler Gewalt.

Diese Reaktion Abrahams ist

Hagar gegenüber … als Feigheit zu bewerten, da er dem Druck der Stärkeren zulasten der Schwächeren nachgibt. Die Erzeltern versagen also beide angesichts der von ihnen initiierten Dreiecksbeziehung mit der Sklavin.

Hagar wiederum wird zunächst

ausschließlich als stummes Objekt gezeichnet. Der unfreien Frau wird keine Möglichkeit gegeben, über ihre Sexualität frei zu bestimmen.

Als Hagar von ihrem Herrn schwanger geworden ist (S. 294), erkennt sie ihre „Bedeutung für die Familie“ und verändert ihre

Sichtweise der unfruchtbaren Herrin. Während sich der Blickwinkel der Sklavin verändert, und damit auch die angestammte soziale Rangordnung, besteht die Herrin auf der Unveränderlichkeit des Sozialgefüges. Sara nützt denn auch das patriarchale Placet ihres Mannes in der Unterdrückung ihrer Sklavin voll und ganz aus. Hagar ist jedoch nicht bereit, sich unterzuordnen und entscheidet sich für den zweiten möglichen Weg ihrer Emanzipation, indem sie von ihrer Herrschaft flieht.

Damit ist der

erste Teil der Grunderzählung … eine Bedrückungsgeschichte, wobei die fremdstämmige Sklavin die Unterdrückte, ein für die Interessen ihrer Herrschaft benütztes Werkzeug ist, das Ehepaar aber in der Position der Ausbeuter und Bedrücker steht. Und Sara hat hierin die traurige Führungsposition!

Im zweiten Teil der Erzählung wird aus der „Geschichte der Erzeltern … eine Geschichte der Hagar“. Dem Engel JHWHs gegenüber, der sie in der Wüste findet,

antwortet sie nicht ausweichend, sondern steht klar zu ihrer Flucht. Bei den Worten Hagars hat man den Eindruck, daß sie sich im Recht fühlt. Sara sieht sie nicht nur in ihrer Rechtsstellung als Herrin, sondern – entsprechend V4b – als Person wie sich selbst. Das geht daraus hervor, daß sie den Namen Saras erwähnt. Den sozialen Rang, auf dem Sara ja so sehr insistierte, daß sie ihre Sklavin zur Flucht trieb, spricht sie ebenfalls an. … Hagar antwortet nicht als Frau, die ein schlechtes Gewissen hat, sondern selbstbewußt und entschlossen zu ihrer Entscheidung stehend.

In der Grunderzählung „akzeptiert“ der Bote Gottes

Hagars Flucht mit der entscheidenden Konsequenz, daß der Sohn Abrahams in der Wüste geboren und leben wird, daß seine Mutter aufgrund ihrer Rettung das Kind benennt, und Mutter und Sohn in Zukunft frei sein werden.

Das bedeutet (S. 294f.):

JHWH hört auf die Unterdrückung der Mutter und befreit sie dadurch. Die Rettung bestimmt programmatisch vorerst die Namengebung und schließlich die Zukunft der Hagarfamilie.

Der zweite Teil der Erzählung V7-14 ist in 16G damit eine Rettungsgeschichte. JHWH greift auch hier, wie schon 12,17, zugunsten der in der sozial schwächsten Position stehenden Frau ein.

Im Unterschied zur Preisgabeerzählung in 1. Mose 12 trägt hier (S. 295) im Kapitel 16 aber Hagar selbst

aktiv zu ihrer Befreiung aus der Unterdrückung bei, indem sie aus eigenem Antrieb flieht, wohingegen Sara passiv bleibt und eine Änderung der Situation nur durch JHWHs Tun erfolgt.

Der Abschluss der Grunderzählung ist insofern einzigartig, als nirgends sonst eine Frau „den Gott ihrer Rettung“ benennt und „dadurch ihrer persönlichen Gotteserfahrung Ausdruck“ gibt:

JHWH [wird] ihr Gott…, den sie in ihrem Leben erlösend erfährt. Gleichzeitig benennt sie den Ort der Begegnung mit dem göttlichen Boten, wodurch wohl eine Kultstätte konstituiert wird. Gottesname und Heiliger Ort stehen hier mit der Erfahrung einer Frau in Verbindung. … In der unfreien Frau Hagar wird hier zudem – erstmals in der Bibel – einem Menschen eine Gottesbegegnung durch einen Engel zuteil. Eine unterdrückte Frau fremder Herkunft erfährt die Hilfe des Gottes der Erzeltern! Durch seinen Boten geht er ihr auf ihrer Flucht durch den Ort der Lebensbedrohung nach, findet sie und gesteht ihr, gegen den Willen der Erzeltern, die sie in Sklaverei wissen wollen, Freiheit zu. JHWH steht nicht nur für seine Verheißung gerade, sondern auch für deren Träger. Das, was sie verschulden, macht er durch sein rettendes Eingreifen wieder gut. Er rettet jedoch dabei nicht die Interessen von Sara und Abraham, sondern Hagar aus all ihren Bereichen der Unterdrückung. Treffend formuliert dies Marie-Theres Wacker: „Hagar wird befreit als Rechtlose…Nicht-Israelitin, als Frau.“ (24)

Die bearbeitete Erzählung Gen 16B als „text of terror“

Die (S. 296) „Bearbeitungsschicht“ verändert die befreiungstheologische Zielrichtung der Grunderzählung, indem Vers 9 „Hagar in ihre sozialen Schranken zurück[weist]“. Der ebenfalls ergänzte Vers 10 „akzeptiert sie aber auch in ihrem Wert für die Erzelternfamilie, indem sie Anteil an deren Verheißung bekommt!“ Trotzdem wird durch diese Bearbeitung „aus der ursprünglichen ‚Exodus‘-Geschichte“ ein Text des Schreckens („text of terror“), wie Phyllis Trible ihn genannt hat (25). Es ist ungeheuerlich, dass

der Rettergott Israels, JHWH, die Unterdrückung zwar hört, jedoch nichts gegen sie unternimmt, ja sie sogar befürwortet… Der göttliche Bote befürwortet ausdrücklich die Unterdrückung der Sklavin, indem er sie zu ihrer Herrin zurückschickt und ihr noch stärkere Unterdrückung als jene, die zur Flucht führte, zumutet: Hagar soll sich nicht nur der Hand Saras unterwerfen, wie dies Abraham V6 indirekt vorschlug, sondern unter beide Hände der Herrin. Die Konsequenzen für das Gottesbild, das diese Bearbeitungsschicht vertritt, wurden wenig bedacht. Der Gott des Exodus, JHWH, der Sklaverei verneint und aus der Unterdrückung befreit, schickt hier die aus der Knechtschaft Entkommene wieder zu ihrer „Pharaonin“ zurück! Wohl im Wissen um die Zumutung, JHWH einen derartigen Befehl zuzutrauen, wird dem Boten unmittelbar darauf eine überaus große Verheißung in den Mund gelegt. So ist es nicht verwunderlich, daß in V10 eine abermalige Redeeinleitung steht. Diese will bewußt betonen, daß auch dies göttliches Wort ist, nicht nur das Wort der göttlich sanktionierten Bedrückung.

Indem (S. 296f.) die „Bearbeitungsschicht“ auf diese Weise die „Unterdrückungsforderung“ mit einer „Verheißung“ verknüpft, versucht sie das durch Vers 9 entstehende problematische Gottesbild zu korrigieren. Dieser Vers ergibt nach Fischer (S. 297)„nur in Verbindung mit Gen 21 einen erklärbaren Sinn“, da „die Rückführung Hagars notwendig“ ist, um „diese Version der Geschichte, nach der Ismael im Hause der Erzeltern geboren wurde, erzählen zu können“. Die Zielrichtung von Gen 16B liegt aber keinesfalls in einer eigenständigen „theologischen Aussage“, denn „JHWH erweist sich nirgends in den EEE als ein Gott, der Unterdrückung gutheißt.“

Patriarchale Familienidylle in der Endversion Gen 16P

Durch die priesterschriftliche Bearbeitung der Erzählung Gen 16P wird „Ismael … zum legitimen Sohn Abrahams, zu seinem Erstgeborenen“. Obwohl mehrfach erwähnt wird, dass „Ismael von Hagar geboren wurde“, wird immer „nur von seinem Sohn gesprochen, nie von ihrem. Er benennt den Sohn.“ In den P-Notizen wird der Name Ismael auch nicht erklärt, „da der Name ja an der Erfahrung der Mutter, nicht an der des Vaters hängt.“

Indem P (S. 298) „auch in den ersten Teil der Erzählung gestaltend“ eingreift, wird schon hier „das Geschehen – weg von Sara – auf Abraham hin zentriert“. Eigentlich wird durch die Einfügung von Vers 3 „der Handlungsverlauf V4-6 unschlüssig, da Hagar durch eine rechtskräftige Eheschließung nicht mehr im Sklavenstand wäre, sondern als Freie angesehen werden müßte.“ Dadurch wird allerdings die Unterdrückungserzählung Gen 16B insofern abgemildert, als „die Rückkehr Hagars zu ihren Unterdrückern in einer ‚Familienidylle‘“ endet, denn ihr „Kind wird in der Obhut seines Vaters geboren“ und die vom Engel

angekündigte, neuerliche Unterdrückung der Sklavin tritt nicht ein. Sie gebiert für Abraham und nicht für Sara! So endet 16B durch die Einarbeitung der P-Teile in familiärer Eintracht, der Erzvater bietet seinem Sohn und dessen Mutter ein Zuhause!

Hagars und Ismaels Vertreibung: 1. Mose 21,8-21

Die (S. 299) zweite Geschichte über Hagar und ihren inzwischen geborenen Sohn Ismael schließt sich unmittelbar an die Geburtsgeschichte Isaaks an, die in 1. Mose 21,1-8 erzählt wird. Vers 8, der diese Erzählung „mit einer Notiz über ein Fest anläßlich der Entwöhnung des Knaben“ beschließt, bildet zugleich (S. 200) die „situative Einleitung zur folgenden Erzählung“. Fischer beurteilt die Erzählung als im Großen und Ganzen einheitlich gestaltet und unterscheidet von der Grunderzählung Gen 21G lediglich die im folgenden Text rot markierten Verse bzw. Versteile als nachträgliche Bearbeitungsschicht Gen 21B (26):

8 Und das Kind wuchs heran und wurde entwöhnt. Und Abraham machte ein großes Mahl am Tage, da Isaak entwöhnt wurde.

9 Und Sara sah den Sohn Hagars, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte, dass er lachte.

10 Da sprach sie zu Abraham: Vertreibe diese Magd mit ihrem Sohn; denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak.

11 Das Wort missfiel Abraham sehr um seines Sohnes willen.

12 Aber Gott sprach zu ihm: Lass es dir nicht missfallen wegen des Knaben und der Magd. Alles, was Sara dir gesagt hat, dem gehorche; denn nach Isaak soll dein Geschlecht genannt werden.

13 Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, weil er dein Sohn ist.

14 Da stand Abraham früh am Morgen auf und nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser und legte es Hagar auf ihre Schulter, dazu den Knaben, und schickte sie fort. Da zog sie hin und irrte in der Wüste umher bei Beerscheba.

15 Als nun das Wasser in dem Schlauch ausgegangen war, warf sie den Knaben unter einen Strauch

16 und ging hin und setzte sich gegenüber von ferne, einen Bogenschuss weit; denn sie sprach: Ich kann nicht ansehen des Knaben Sterben. Und sie setzte sich gegenüber und erhob ihre Stimme und weinte.

17 Da erhörte Gott die Stimme des Knaben. Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben dort, wo er liegt.

18 Steh auf, nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum großen Volk machen.

19 Und Gott tat ihr die Augen auf, dass sie einen Wasserbrunnen sah. Da ging sie hin und füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben zu trinken.

20 Und Gott war mit dem Knaben. Der wuchs heran und wohnte in der Wüste und wurde ein Bogenschütze.

21 Und er wohnte in der Wüste Paran und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägyptenland.

Dass Ismael teilweise als BäN = „Sohn“ (V9.10.11.13), als JäLäD = „Kind“ (V14.15.16) oder als NaˁAR = „Junge“ bezeichnet wird, ist nach Fischer kein Grund für eine Zuweisung der betreffenden Textteile zu verschiedenen Versionen, vielmehr (S. 307) hebt die unterschiedliche Wortwahl jeweils besonders die „drei zentralen Themen der Erzählung“ hervor: im Zusammenhang mit Bän den „Konflikt um das Erbe“, mit JäLäD den Kontrast des Ergehens der beiden Kinder im häuslichen „Verbleiben für Isaak“ und der lebensgefährdenden „Vertreibung für Ismael“ und schließlich mit NaˁAR die „göttliche Bewahrung des verstoßenen Ismael“.

Dabei setzt die Grunderzählung übrigens voraus (S. 313), dass „Ismael … noch so klein“ sein muss, dass „Hagar ihn tragen kann“, denn „Hagar wird … mit ihrem Sohn im Arm vertrieben“. Anders als in der späteren priesterschriftlichen Bearbeitung der Erzelternerzählungen ist „aus dem Knaben“ also nicht „bereits ein junger Mann von etwa siebzehn Jahren geworden“, sondern „die beiden Knaben“ sind „altersmäßig nicht weit auseinander“.

Auch (S. 304) „die Ungereimtheit…, daß auf das Weinen der Hagar hin (V16) Elohim [= Gott] die Stimme Ismaels hört (V17a.b)“, veranlasst Fischer nicht zu einer diesbezüglichen Textänderung, obwohl schon die erste griechische Übersetzung „der Erhörung der Stimme des Knaben sein eigenes Schreien vorangehen“ lässt, allerdings dadurch den Sinn des Textes verschiebt. Irmtraud Fischer hält den hebräischen Text für „durchaus logisch, denn unmittelbare Todesgefahr besteht (vorerst) nur für den Knaben“; aber es geht der Grunderzählung nicht ausschließlich um die Errettung Ismaels, sondern auch der „Mutter aus ihrer Verzweiflung über den sterbenden Sohn“, und das wird im Weinen der Hagar besonders hervorgehoben.

Vertreibung des erstgeborenen Erben mit seiner Mutter in Gen 21G

Anders als (S. 323) in 1. Mose 16 steht in 1. Mose 21 „der Konflikt um das Erbe“ im Mittelpunkt, nicht „die Rivalität der beiden Frauen“ Sara und Hagar. Aber wieder ist es Sara, die beim Entwöhnungsfest für ihren Sohn Isaak den Plan fasst (S. 324),

den Erstgeborenen ihres Mannes und dessen Mutter zu vertreiben, um so die Rivalität zur anderen Frau, die sich in den Söhnen fortsetzt, für immer zu beenden. Ihr Sohn muß Universalerbe werden; das ist nur mit einer Eliminierung des anderen Sohnes aus dem Familienverband zu erreichen.

Dabei ist vorausgesetzt, dass „Ismael im Hause der Erzeltern geboren und als rechtmäßiger Sohn anerkannt wurde, andernfalls er nicht erbberechtigt wäre“; damit tritt um so krasser hervor, wie unterschiedlich Abraham, indem er fraglos „dem Willen seiner Frau“ nachkommt, seine beiden Söhne behandelt (S. 324f.):

Richtet er für Isaak und Sara ein üppiges Festmahl aus, so hat er als allerletzte Wohltat für die andere Mutter mit ihrem Kind nur Wasser und Brot übrig.

Die Lage der Hagar wird in der Grunderzählung als aussichtslos geschildert. Sie (S. 325) „bleibt stummes Opfer der Vertreibung, der Erzähler läßt sie nicht zu Wort kommen.“ Sowohl ihr Kind als auch sie selbst sind in der Wüste „vom Verdursten bedroht“:

In diese Todesszenerie der völligen Verlassenheit schickt Elohim [= Gott] seinen Boten, um Kind und Mutter vor dem Sterben zu bewahren. Diese plötzliche Wende sichert vorerst das nackte Überleben des Kindes, eröffnet aber zudem durch eine große Verheißung einen gesicherten Weg in die Zukunft. Was das Erzelternpaar Hagar und Ismael angetan hat, saniert Gott durch seine Zuwendung für die vertriebene Frau und deren Kind. Gen 21G ist damit die Geschichte einer Rettung aus Todesnot, die nicht nur mit dem Überleben der Bedrängten endet, sondern von einem gottbeschützten weiteren Lebensweg zu berichten weiß.

Auf Grund eines ausführlichen Vergleichs (S. 326ff.) der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Grunderzählungen in Kapitel 16 und 21 lässt sich nach Fischer (S. 331)

das Verhältnis der beiden Texte zueinander besser erklären…, wenn man annimmt, daß der Verfasser von Gen 21G bereits auf die schriftliche Version von Gen 16G zurückgreifen konnte und gezielt eine neue Geschichte mit kreativer Verarbeitung des Stoffes gestaltet hat.

Das mag auch der Anlass dafür gewesen sein (S. 332), die Verse 9 und 10 in die Grunderzählung von 1. Mose 16 einzuschieben.

Abrahams Rolle in Gen 21B und ein Ausblick auf das Kapitel 22

Die Bearbeitungsschicht (S. 325) von 1. Mose 21 (Gen 21B) verändert die Absicht der Grunderzählung (Gen 21G) insofern, als in ihr „Hagar und ihr Kind … zwar ebenso gerettet“ werden, aber Gott selbst ist „ausdrücklich für ihre Vertreibung und setzt sie damit der Todesgefahr aus“. Das Gottesbild wird in dieser Version der Geschichte zwiespältig; zwar (S. 326) macht die „göttliche Zusage an Abraham von vorneherein einen letalen Ausgang der Szene in der Wüste unmöglich“, aber Gott „sieht … dennoch bis zum letztmöglichen Zeitpunkt dem Elend Hagars tatenlos zu“. Dass „Hagars Wasservorrat gerade in einer Wüstengegend zu Ende geht, die einen von Abraham selber gegrabenen Brunnen hat“, scheint diese Schicht der Erzählung allerdings mit der hinzugefügten Bemerkung „bei Beerscheba“ als „göttliche Fügung“ zu deuten: „Gott rettet damit den mit spärlichster Versorgung vertriebenen Abrahamsohn durch das Wasser des väterlichen Brunnens.“ Indem Gott hier „in Not geratene Menschen … um Abrahams willen“ rettet, ist „er nicht mehr der Gott, der sich mit den Entrechteten und Notleidenden um ihrer selbst willen solidarisiert, sondern seine Pläne sind den Menschen vorerst verborgen, er rettet erst durch die Not hindurch“. Wie 1. Mose 20 oder 18,22ff. stellt auch die Erweiterung 1. Mose 21,11-13 (S. 333) „den Erzvater als exemplarischen Gerechten dar, der Gottes Anweisungen aufs Wort gehorsam ist“ und (S. 332) für den Gott

entweder parteinehmend eingreift (Gen 20B) oder ihm seine eigene Gerechtigkeit anrechnet, die ihn dazu befähigt, fürsorgend für unschuldige Menschen einzutreten, welche durch den göttlichen Rechtsspruch bedroht werden (Lot, Abimelek, Hagar).

Nach Fischer (S. 333)

ist zu vermuten, daß diese Bearbeitung auch Auswirkungen auf die im Kontext stehende zweite Erzählung (Gen 22) von der Trennung eines Abrahamsohnes von seinem Vater hat.

Jedenfalls „gibt es starke Verbindungen zwischen Gen 21 und Gen 22“, und Fischer nimmt an, dass

die beiden Texte bewußt aufeinander bezogen sind. … Hier wie dort soll ein Abrahamsohn das Erzelternhaus auf Nimmerwiedersehen verlassen, beidemale wird er im letzten Augenblick durch die Erscheinung eines Engels gerettet.

Ja, Fischer vermutet sogar (S. 335f.), dass „beide Texte in ihrer Grundschicht von ein und demselben Verfasser stammen.“

Welchen Sinn könnte die Erzählung 1. Mose 22 in diesem Zusammenhang haben? Nachdem (S. 337) die „beiden Texte Gen 16.21 … das menschliche Versagen sowohl Saras als auch Abrahams“ erweisen und in „Gen 21 … Ismael aufgrund seiner Konkurrenz mit dem geliebten Isaak leichtfertig geopfert“ wird, verbleibt

den Erzeltern nur mehr ein Sohn… Er trägt nun die ganze Hoffnung. Und eben diesen einzig Verbliebenen, Geliebten, fordert Gen 22 Gott für sich als Opfer! Konsequenz dieser Forderung ist, daß das Erzelternpaar nun wieder kinderlos werden soll. Ismael als menschlichen Versuch, das Problem der Kinderlosigkeit zu lösen, hat man ja eilfertig fortgeschickt. Das Erzelternpaar ist alt und jenseits der biologischen Möglichkeiten, weitere Kinder zu haben. Gen 22 greift damit radikal an die Wurzeln der Existenz.

Die parallele Gestaltung von Gen 22 zu Gen 21 weist darauf hin, daß Gott dem Erzvater zumutet, die Trennung, die er von seinem Erstgeborenen leichtfertig vollzogen hat, nun vom einzig verbliebenen Sohn, vom gehätschelten Isaak (22,2), selber zu vollziehen. Der eine Sohn wurde leichten Herzens preisgegeben, der andere muß schweren Herzens geopfert werden.

Die Erprobung Gottes (22,1) besteht somit darin, daß Abraham beweisen muß, ob er, wie in seinem bisherigen Leben, nur bereit ist, den Weg des geringsten Widerstandes für sich selber zu gehen, oder ob er im Gehorsam gegen seinen Gott, dem er alles verdankt, auch bereit ist, mit seinem Sohn seine eigene Zukunft – und damit sich selber hinzugeben. Gen 22 ist daher nicht nur im Kontext von Gen 21 zu sehen, sondern im Zusammenhang mit allen Preisgabeerzählungen, mit Gen 12.16.20.21.

Im letzten Kapitel ihres Buches geht Fischer darauf ein, was „dieser Kontext der ‚Frauentexte‘ für die Theologie von Gen 22 einbringt“.

Die Frauentexte im Kontext des Abraham-Sara-Kreises

Im letzten Kapitel ihres Buches (S. 338) ordnet Irmtraud Fischer die besprochenen Frauentexte in den Gesamtzusammenhang der Erzelternerzählungen des Abraham-Sara-Kreises ein. Ihr Ziel ist es dabei auch, herauszufinden (S. 339),

warum das Interesse gerade an diesen Geschichten über Frauen so groß war, daß sie doppelt und dreifach erzählt werden, wohingegen Texte, die in der Forschung für theologisch relevant betrachtet werden, einen wesentlich weniger breiten Raum im Endtext einnehmen. Nur mit der Lust am Fabulieren, eine Deutung, die einer Trivialisierung weiblicher Lebensschicksale gleichkommt, läßt sich das Phänomen sicher nicht erklären.

Der älteste Abraham-Sara-Erzählkranz mit dem Schwerpunkt des Eingreifens JHWHs für die Frauen

Die „erste schriftliche Fassung“ des Abraham-Sara-Kreises, in der vermutlich auf „ursprünglich mündlich tradierte Einzelerzählungen“ zurückgegriffen wurde und zu denen auch die Erzählungen aus dem „Abraham-Lot-Kreis“ gehörten, ist nach Fischer „wohl in die frühere Königszeit“ zu datieren, „auf alle Fälle vor dem Zusammenbruch des Nordreiches“. Sie beschreibt sie (S. 341) „als lockere Zusammenstellung von in sich geschlossenen Einzelerzählungen, die in ihrer Abfolge jedoch einen Erzählfortschritt bringen“:

Gen 12,10ff. setzt ein mit einer Erzählung von der Preisgabe und Rettung der schönen (noch jungen) Sara. Daß die Frau wieder mit ihrem Ehemann, der sie preisgegeben hat, zusammengeführt wird, ist Tat JHWHs.

Gen 16G zeigt nun, daß trotz der Rettung der Frau und ihrer Rückkehr zum Ehemann die Geburt von Kindern ungewöhnlich lange auf sich warten läßt. Sara ist unfruchtbar, diese Tatsache bedarf bis dorthin keiner eigenen Erwähnung, da der Erzählverlauf von Gen 16 seine Dynamik von diesem Problem her bezieht. So ergreift Sara die Initiative, um sich selber von ihrem Ehemann und einer von ihr abhängigen Frau Nachkommenschaft zu schaffen. Dieser menschliche Weg, zu einem Kind zu kommen, scheitert jedoch jämmerlich am Unvermögen der Erzeltern, der Sklavin Hagar innerhalb der Familie Raum zu geben. Hagar flieht, das Kind, das sie trägt, wird fern vom Erzelternpaar, jedoch in der Obhut JHWHs geboren.

Das alternde Ehepaar steht wiederum ohne Erben da; vom Verwandten Lot hat man sich ja bereits aus materiellen Gründen getrennt (Gen 13*). So bringt Gen 18*, die göttliche Ankündigung der Geburt eines Sohnes und deren Erfüllungsnotiz, die Lösung des einen Bogens des frühesten Abraham-Sara-Kreises, der sich um das Problem der Nachkommenschaft spannt. Der zweite Spannungsbogen ist jener um den Abraham-Lotkreis, der mit Gen 19*, der Vernichtung Sodoms und der Errettung der Familie Lots, gelöst wird. (27)

Da (S. 342) „in den Abraham-Sara-Erzählungen das Thema der Nachkommenschaft“ vorherrscht, ist die

Hauptperson … eindeutig Sara, deretwegen JHWH in Ägypten eingreift, die die Initiative zur Erlangung von Nachkommenschaft ergreift, aber kläglich an ihrem eigenen Plan scheitert, und die schließlich im Zentrum des Interesses der göttlichen Besucher (Gen 18) steht, welche ihr übers Jahr die Geburt eines Sohnes verheißen.

Das bedeutet nun aber für die früheste Schicht, daß als theologische Sinndimension nicht mehr die großen Verheißungen an den Erzvater anzugeben sind, sondern das Eingreifen JHWHs für die Frauen: Er rettet Sara, spricht Hagar Freiheit und Zukunft für den zu gebärenden Sohn zu und nimmt sich schließlich der alten Sara an, indem er auch ihr einen Sohn ankündigt.

Daraus zieht Irmtraud Fischer den Schluss (S. 343), dass

die große Bedeutung der Frauengestalten ihren Haftpunkt in den ältesten Überlieferungen hat und damit genuin mit den EEE [= Erzelternerzählungen] verbunden ist. Das erklärt einerseits, warum der Abrahamkreis selbst im Endtext noch durch so viele Geschichten, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen, geprägt ist; andererseits bestätigt dies die bereits in den Abschnitten zu den genealogischen Texten sowie zur relativen Chronologie der Doppel- und Dreifachüberlieferungen vermerkten Beobachtungen: Erst in den späteren Texten rücken die Erzväter immer mehr in den Mittelpunkt, bis schließlich sogar bewußt Überlieferungen, die ursprünglich an Frauen festgemacht waren, auf deren Männer übertragen werden (vgl. die Namengebung für Ismael Gen 16; sowie die Abfolge von Gen 17.18). Die alten, mit den Frauen verbundenen Traditionen werden dadurch zwar in einen anderen Kontext gestellt, verdrängt werden sie dadurch jedoch nicht!

Verbindung der Erzählkreise von Abraham-Sara und Jakob mit dem Scharnier der Rebekka-Isaak-Traditionen

Der eben beschriebene „erste Erzählkreis“ um Abraham, Sara und Lot wird Fischer zufolge (S. 344) in einer nächsten Schicht der späteren 5 Bücher Mose mit dem „Jakobzyklus“ zusammengestellt, wobei „als Verbindungsglied zwischen beiden Rebekka-Isaak-Traditionen“ eingeschoben werden. Das geschieht (S. 343, Anm. 17) vermutlich in der Zeit „nach 722“, evtl. in der „Epoche Manasses“.

Dieser Verfasser (S. 345) fügt „größere, ursprünglich selbständige Erzählkomplexe zu einem durchgehenden Ganzen zusammen“ und „bringt in den Abrahamkreis erstmals Verheißungsabschnitte mit übergreifender Dimension (Land, Nachkommenschaft) ein.“ Diese (S. 346)

Thematik der Verheißung von Land und Nachkommenschaft wird wie ein roter Faden von Abraham bis zu Jakob hin durchgezogen.

Dadurch, dass die „ursprünglich eigenständige Einheit der Preisgabeerzählung 12,10-20 … durch diese Schicht in den Erzählfaden des Kontextes eingebettet“ wird (S. 347), wird einerseits das Verlassen des von Gott zugesagten Landes nach Ägypten „ohne göttliche Weisung“ als von vornherein fragwürdig dargestellt, andererseits wird der Gesichtspunkt „der gefährdeten Nachkommenschaft“ von Anfang an (1. Mose 11,30) „in den Text hineingetragen“. Das heißt: nur mit Sara kann Abraham die „göttlichen Zusagen, die sich auf die Nachkommenschaft beziehen“, verwirklichen. Das bedeutet (S. 348):

Die Preisgabe der kinderlosen Sara unmittelbar nach der Zusage von Nachkommenschaft kommt damit einer Preisgabe der Verheißung gleich. Daß als Ausweg aus der Todesangst des Mannes daher die definitive Trennung von seiner Ehefrau gewählt wird, gibt der ohnedies brisanten Erzählung noch einen Anstrich des Skandalösen: Die Trägerin der Verheißung kommt durch ihre Aufnahme in den Harem in die Gefahr, in eine fremde genealogische Linie eingegliedert zu werden. Von diesem Kontext her ist das Eingreifen JHWHs für Sara nicht nur als Rettung einer wehrlos preisgegebenen Frau zu verstehen, sondern als Bewahrung seiner Verheißungsträgerin! (28)

Nach (S. 348f.) der Ausweisung Abrahams und Saras aus Ägypten und der „Trennung von Lot ist das kinderlose, unfruchtbare Ehepaar mit seiner Verheißung aber nun allein im zugesagten Land; eine ‚Adoption‘ Lots kommt nicht mehr in Frage.“ Bevor diese Erzählschicht (S. 349) einen weiteren „menschlichen Versuch“ schildert, „die Nachkommenschaftsverheißung trotz Unfruchtbarkeit einzulösen“, nämlich die Geschichte von „Hagar, der Ägypterin (Gen 16)“, stellt sie im Kapitel 15 „dem kinderlosen Erzvater die Verwirklichung der Nachkommenschaftsverheißung in Aussicht“ und betrachtet das „Problem der Kinderlosigkeit … aus der Perspektive des Mannes…, während Gen 16 dieses aus der Sicht Saras betrachtet.“ Auf Grund der (S. 350) „Erneuerung der Nachkommenschaftszusage“ in 1. Mose 15 ist nun auch das Verhalten Abrahams und Saras in 1. Mose 16 im Sinne „des Kleinglaubens gegenüber der Verheißung“ zu begreifen.

Nachdem in Kapitel 18 „ein drittes Mal die Sohneszusage ausgesprochen“ wird, indem „die Geburt des Kindes binnen Jahresfrist“ angekündigt wird, „setzt der Erzvater“ in dieser Schicht der Erzählung „selbst die nun ganz konkret gewordene Verheißung … aufs Spiel“, indem sie ganz bewusst „nach den Loterzählungen von Gen 19*, aber noch vor die Erfüllungsnotiz der Geburt, eine weitere Preisgabeerzählung“, nämlich Gen 20G, einfügt. Das heißt (S. 251): „die Preisgabeerzählung“ nimmt sich „als unmittelbarer Verrat an der nun schon greifbaren Verwirklichung der Verheißung aus“. In diesem Zusammenhang wird verständlich, dass die „beiden Verse 20,17bf. … die unumgänglich notwendige Funktion der Klarstellung der Vaterschaft für Isaak“ erhalten, indem „jeglicher Verdacht ausgeschlossen“ wird, „daß etwa auch Abimelek der Vater Isaaks sein könnte.“

Versteht man (S. 252) Gen 20G als eine „gezielt für diesen Kontext 18-21*“ gestaltete Geschichte,

so ist es nur konsequent, daß etwa das Motiv der Schönheit der Ahnfrau in dieser Version nicht vorkommt. Sara ist bereits alt, jenseits der Wechseljahre (18,11) und wohl auch nicht mehr so begehrenswert für einen Herrscherharem. Deshalb übergeht der Verfasser von 20G auch geflissentlich die Motivation, mit der Sara in den Harem geholt wird. Den Schwerpunkt der Erzählung bildet in dieser Version auch nicht mehr die Preisgabe der Frau, sondern die Preisgabe der Ehefrau Sara…

Indem sich die „Dramatik … vom Schicksal der preisgegebenen Ehefrau auf das Schicksal des unfruchtbaren, vom Tode bedrohten fremden Königs“ verlagert und JHWH nicht nur „zugunsten Saras eingreift“, sondern „auch Abimelek davon“ befreit, „vom Lebensstrom abgeschnitten zu sein (20,17bf.)“, erweist sich auch eine klare Verbindung zum Kapitel 19:

Während die Sodomiter wegen ihres Verharrens in der Gewalttat vernichtet werden, werden die Gerariter aufgrund ihres Königs, der das Gotteswort hört und befolgt, gerettet. Gen 20 ist von dieser Thematik her als Kontrastgeschichte zu Gen 19 zu lesen.

Somit ist die Stellung im Kontext nicht eine ungeschickte Einfügung an einem unpassenden Ort, sondern gezielte Gestaltung. Nicht ein schwerfälliger Redaktor läßt Sara als alte, vielleicht schon schwangere Frau in den Harem Abimeleks eintreten, sondern diese Version der Preisgabeerzählung ist bewußt für diesen Kontext gestaltet: Nach der konkreten Sohneszusage, zu einem Zeitpunkt, zu dem menschliches Vermögen bereits erloschen ist, gibt der Erzvater durch seine Lüge abermals seine Frau preis. 20G ist auf die Gefährdung der Sohneszusage hin angelegt. Die alte Ehefrau, die binnen Jahresfrist gebären soll, wird preisgegeben, nicht die schöne (und daher wohl noch junge) Frau, die biologisch noch Zukunft hat. Die Stellung im Kontext läßt das geprägte Thema der Preisgabe der Ehefrau inadäquat verwendet erscheinen (alt, daher kaum mehr begehrenswert, im Alter zählen wohl andere Qualitäten!). Dennoch wird gerade dadurch der Verrat noch zugespitzt: Abraham hat offensichtlich nichts dazugelernt, selbst die angekündigte nahe Geburt des ersehnten Sohnes hält ihn nicht davon ab, seine Frau wiederum preiszugeben!

Aber warum (S. 353f.) fügt „gerade diese Schicht, die die großen Verheißungen in den Abraham-Sara-Kreis einträgt“, auch „eine solche ‚garstige‘ Geschichte, wie sie Gen 20G darstellt“, mit ein? Für Fischer ist das dadurch zu erklären, dass der

auf dieser Ebene geschaffene literarische Zusammenhang … alles eher zum Ziel [hat] als die Verherrlichung Abrahams. … Dreimal sagt Gott dem Abraham Nachkommenschaft zu, jedesmal setzt er die Verheißung unmittelbar danach aufs Spiel!

Dieselbe (S. 354) „Dimension des Kleinglaubens den göttlichen Zusagen gegenüber“ wird weiterhin auch der zweiten Generation der Erzeltern bescheinigt; „in der dritten Version der Preisgabeerzählung, Gen 26G … glaubt auch Isaak nur bedingt“ der „Beistandszusage Gottes…, als Gefahr im Verzug ist, und gibt seine Frau deshalb als Schwester aus.“

Als „Sitz im Leben“ und „historischer Anhaltspunkt“ dieses Erzählzusammenhangs bietet sich für Fischer eine Situation an, in der „nach einem Scheitern ein erstes Resümee der Geschichte Israels“ gezogen wird. Der Untergang des Nordreichs Israel im Jahr 722 v. Chr. führt auch dazu, dass viele Menschen aus dem Norden ins Südreich Juda fliehen, Grund genug, um die Erzählkreise „der Erzeltern des Südens und des Nordens“ auch dadurch eng miteinander zu verknüpfen, indem man in sie „einen Rebekka-Isaakkreis“ einfügt, zu dem „nun auch die dritte Version der Preisgabeerzählung“ gehört, die (S. 355) „ursprünglich im Abrahamkreis verankert“ war.

Exilische Bearbeitung der Erzelternerzählungen: Abraham als „schwacher Mensch mit großem Glauben“

In der Zeit (S. 357) des babylonischen Exils kommen zu den Erzelternerzählungen unter anderem die Abschnitte 1. Mose 12,1-4a, die Grunderzählung von 1. Mose 21 und „der Abschluß des Abrahamkreises“ in 1. Mose 22 hinzu. Der erstgenannte Text (S. 328), „die sogenannte ‚Berufung‘ des Abraham“ bündelt alle „Verheißungen, von Land, großem Volk, großem Namen und Segen … in universaler Weite“ und „wird als Überschrift über den Lebenslauf des Erzvaters gesetzt“. Es handelt sich aber (S. 359) nicht mehr um „unbedingte Zusagen Gottes, sondern sie sind mit einer Forderung verbunden. Abraham muß seine vertraute Umgebung verlassen, um ihrer teilhaft zu werden.“

Dadurch erhalten auch die „Preisgabeerzählungen“ eine anders akzentuierte Bedeutung:

An der Stellung zur Abrahamsippe entscheidet sich das Schicksal aller Sippen der Erde. Wer also Abraham und die Seinen anrührt, der hat mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen. JHWHs Eingreifen für Sara hängt mit der Treue zu seiner Verheißung zusammen.

Nicht nur der „Pharao“, obwohl er nur „unwissentlich … Ehebruch“ mit Sara begeht,

bekommt daher JHWHs Fluch zu spüren, indem er mit großen Schlägen geschlagen wird (12,17; in der Endversion der Geschichte betreffen diese auch sein „Haus“). Dieselbe Sinnspitze wird auch Gen 20 gegeben und auch Gen 16, dem Aufbegehren Hagars gegen die Herrin.

Im selben Zuge wird auch 1. Mose 15 bearbeitet (S. 360), indem die „Verheißungslinie als Erblinie“ gedeutet wird. Hier war (Vers 2) „vorerst der hauseigene Knecht als Erbe vorgesehen“, der in Vers 3-4 „aber ausgeschlossen wird“. Daraufhin will „das Erzelternpaar … durch Abrahams leiblichen Sohn mit der Sklavin Hagar die Erbnachfolge regeln … (Gen 16)“. Aber die

späte, durch Gott gewirkte Erfüllung des Kinderwunsches durch den Sarasohn Isaak (Gen 18; 21,1.6f.) bewegt … die Erzeltern, auch Ismael auszuschließen und das Erbe nur dem gemeinsamen Sohn zuzugestehen (21,8ff.).

Die Gen 21,8ff. in den Kontext einbindenden Verse aus 16,9-10 gehören zur selben Schicht. Der Rückkehrbefehl ermöglicht das abermalige Erzählen der Trennung Hagars von ihrem Herrenhaus; es wird ihr aber auch eine Verheißung gegeben. Im Kontext gelesen, wird die in Gen 16B bedrückende Aussage von „Zuckerbrot und Peitsche“ mit einer revolutionären Dimension versehen: Eine ausländische Sklavin wird zur Adressatin einer großen „Väter“-Verheißung!

Die von dieser Schicht neugestaltete „Hagargeschichte von Gen 21G“ bestätigt erneut, dass man „wieder nichts dazugelernt“ hat und nicht darauf vertrauen kann (S. 361), dass „Isaak als Sohn, an dem die Verheißung hängt, durch göttliche Initiative ohnedies zum Erben wird“. Stattdessen

handeln die Erzeltern wiederum eigenmächtig und vertreiben den durch eigene Initiative auf den Plan gerufenen Konkurrenten. Die Stellung im Kontext unmittelbar nach der Geburtsnotiz für Isaak und damit der Bestätigung, daß Gott seinen Zusagen treu ist, läßt die Vertreibung Ismaels mit seiner Mutter abermals als Akt des Kleinglaubens erscheinen. Die Vertreibung von Mutter und Sohn mit nur einer Tagesration Versorgung – und das anläßlich eines üppigen Gelages – läßt diese Schicht einen weiteren Höhepunkt der Hartherzigkeit und Kleingläubigkeit des Erzelternpaares entwickeln. Daß Gott hier sogar lebensrettend für die so karg Versorgten, dem Tod Preisgegebenen, eingreifen muß, stellt im bisherigen Kontext den Gipfelpunkt unsolidarischen Handelns dar.

Im selben Zuge wird nach Irmtraud Fischer im folgenden Kapitel 22 eine „parallel gestaltete Gegengeschichte“ zum Kapitel 21 erzählt.

Um das zu begreifen, muss man sich klarmachen, dass einerseits Abraham „in jenen Texten von Gen 12-22, die von göttlicher Führung und Verheißung für Abraham handeln, … als heroische Gestalt dargestellt“ wird, „die, ohne einen Horizont der Erfüllung zu sehen … allen göttlichen Zusagen und Anweisungen aufs Wort glaubt“, während er andererseits „in jenen Texten, die Frauen als Hauptpersonen vorstellen, als ängstlicher, gleichzeitig aber auch in seiner Bequemlichkeit feiger Mann dargestellt“ wird, „der Risiko und Auseinandersetzung scheut und gerade dadurch immer wieder die Verheißung im konkreten Zusammenleben preisgibt“:

Die vier Frauentexte im Abraham-Sara-Kreis sind im Blick auf den Patriarchen allesamt Preisgabeerzählungen: Zweimal gibt der Erzvater seine Frau Sara preis, um selber nicht in Gefahr zu kommen (Gen 12,10ff.; Gen 20) und zweimal – um den Konflikt mit seiner Frau zu umgehen – Hagar, die Sklavin, mit der er in Geschlechtsgemeinschaft lebt, und mit ihr noch seinen Erstgeborenen (Gen 16; Gen 21).

Das heißt (S. 362): Abraham hat alle „Mitglieder der Kernfamilie“ doppelt preisgegeben –

mit nur einer Ausnahme: Isaak. Dieser Sohn ist die Erfüllung seines glaubenden Weges mit Gott, er ist die lang ersehnte, im hohen Alter doch noch geschenkte, leibhaftige Verwirklichung der göttlichen Zusagen. Er ist Abrahams einzige Zukunft; seinen Erstgeborenen hat er ja preisgegeben. Nach diesem mit Hoffnung überfrachteten Sohn greift in Gen 22 der göttliche Befehl, der Vater selber solle ihn opfern und damit an den göttlichen Geber zurückgeben. … Mit Isaak geht Abrahams Zukunft verloren, es gibt keinen Sohn mehr, der die große Nachkommenschaft verwirklichen könnte, keinen, der das Land erben könnte.

Begreift man 1. Mose 22 auf diese Weise, muss man sich nicht damit behelfen, in dem Text „eine alte Überlieferung einer Polemik gegen das Kinderopfer zu sehen“, oder (S. 363) ihn „als Gehorsamsprobe für den Erwählten“ zu deuten, wobei offen bleibt, „warum sie gerade der in den theologisch als relevant betrachteten Texten als allzeit gläubig gezeichnete Erzvater bestehen muß“ und warum sie in einer derart sinnlosen Tat besteht (S. 363f.):

Werden auf der literarhistorischen Ebene der Einfügung von Gen 22 in den Abrahamkreis auch die ‚Frauentexte‘ mitgelesen und als theologisch relevant akzeptiert sowie die parallele Gestaltung von Gen 21 ernst genommen, erhellt sich die Frage nach der ‚sinnlosen Forderung‘: Gen 22 ist die von Gott geforderte ‚Synthese‘ der ‚zwei Seelen in der Brust‘ des Erzvaters! Die Menschen um sich hat er alle preisgegeben, an seinem Gott hat er festgehalten. In der Forderung, sich nun auch vom Verheißungsträger, dem einzigen, den Abraham bisher nicht preisgegeben hat, zu trennen – und zwar durch eigenhändige Tötung! – präsentiert Gott ihm gleichsam das Resümee seines Lebens. Mit Isaak muß er seine eigene Zukunft aufgeben, sich selber mit seiner ganzen Existenz preisgeben. Die Erprobung hat das Ziel, zu erweisen, ob Abraham dazu bereit ist.

In diesem Zusammenhang betont Fischer:

Daß Gott den Tod des unschuldigen Sohnes fordert, kann insofern nur bedingt als gewalttätiger Zug im Gottesbild angesehen werden, als ausschließlich ein positiver Ausgang der Geschichte erzählt ist. Der Befehl ist eine Erprobung für Abraham und nicht ein Anschlag auf das Leben Isaaks, das wird eingangs (22,1) betont! Versagt der Vater, bleibt der Sohn ohnedies am Leben; Gott hätte dann wohl noch andere Möglichkeiten offen gehabt, Abraham zur Rechenschaft zu ziehen.

Dass (S. 365) „Sara … in der Erzählung von der Opferung Isaaks mit keinem Wort erwähnt“ wird, könnte auf den ersten Blick verwundern:

Dabei wird doch auch ihr Sohn geopfert, auch ihr jegliche Zukunft genommen. Da sie, ebenso wie der Erzvater, Trägerin der Verheißung und sie die treibende Kraft für die Preisgabe von Hagar und Ismael ist, müßte doch auch sie auf die Probe gestellt werden! In den Hagargeschichten ist sie ja Anstifterin und Mittäterin, solidaritätslos mit der sozial Unterprivilegierten wie ihr Mann.

Sara ist jedoch im selben Maße Opfer wie Täterin. Auch ihr blieb das Schicksal der Preisgabe durch ihren Mann nicht erspart. Von dieser Doppelrolle Saras her ist es verständlich, daß sie nicht eigens erprobt werden muß, aber dennoch ihr Sohn und mit ihm auch ihre Zukunft bedroht wird. Daß Sara in Gen 22 fehlt, ist also nicht etwa ein durchgängiger Zug der Geringachtung ihrer Frauenrolle, sondern ein gezieltes Fehlen. Sara hat bereits am eigenen Leib miterlebt, was Preisgabe heißt. Die Aufnahme in den Harem eines fremden Mannes hat sie bereits zweimal vom Verheißungsstrom abgeschnitten, göttliche Rettung hat sie aber auch wieder in diesen eingegliedert!

In höchstem Maße einleuchtend erscheint mir Irmtraud Fischers Charakteristik Abrahams im Zusammenhang dieser Erzählschicht der Bibel und damit auch der Sinn des Kapitels 1. Mose 22, über das ich mir mein ganzes Pfarrerleben hindurch immer wieder den Kopf zerbrochen habe (S. 365f.):

Abraham besteht die Probe und rettet damit seine Zukunft, da er durch die Annahme dieser letztmöglichen Herausforderung seinen wahren Charakter beweist: Abraham ist nicht ein gewissenloser Feigling, der immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, wie das in den Preisgaben der beiden Frauen und seines Erstgeborenen den Anschein hat, sondern ein schwacher Mensch mit großem Glauben. Die letzte und endgültige Probe besteht er und sühnt damit gleichsam an sich selber all das menschliche Versagen in seinem Leben. Mit dem Opferbefehl von Gen 22 zwingt Gott seinen Auserwählten, das an sich selber zu erleben, was er den nächsten Menschen um sich angetan hat. Die göttliche Forderung ist aber nicht nur das erzwungene Resümee seines sozialen Lebens, sondern gleichzeitig eine Chance, die guten Früchte zu ernten: Abrahams bedingungsloser Glaube wird auch durch sie nicht gebrochen. Und wie alle von ihm preisgegebenen Personen, so rettet Gott auch ihn und seinen Sohn. Gen 22 ist damit eine gottgewirkte Synthese der beiden Wege Abrahams: stark in seinem Glauben, schwach jedoch in der mitmenschlichen Solidarität. Gen 22 bringt ‚Glauben‘ und ‚Werke‘ des von Gott Erwählten in Einklang!

Eine (S. 366) „solche Geschichte“, in der „das unerschütterliche Festhalten an dem das Leben fordernden Gott“ das „letzte Wort behält“, konnte man „gerade nach den Erfahrungen der Zerstörung Jerusalems, des Untergangs von Land/Staat und Volk“ erzählen, als man eine „Rettung durch die Katastrophe hindurch“ am eigenen Leibe verspürt hatte.

Patriarchalisierung der Erzelternerzählungen durch priesterschriftliche Einschübe

Die (S. 366) nachexilische Priesterschrift ordnet Abraham „in den Semitenstammbaum Gen 11“ und damit die „Erzeltern Israels … in die große Menschheitsgeschichte“ ein, „wie sie die Urgeschichte von P mit ihren große Zeiträume überbrückenden Genealogien darlegt“. Außerdem (S. 366f.)

werden Wanderungsnotizen eingebracht, die die Heimat der Terachsippe nach Ur in Chaldäa verlegen. Die Großfamilie ist auf der Wanderung, um ins Land Kanaan zu ziehen (11,31), man bleibt dann allerdings vorerst auf halber Strecke in Haran. Damit sind bereits in der Exposition das Thema der Wanderung(en) und das Land Kanaan als Ziel angegeben.

Auf (S. 367) „dieser literarhistorischen Ebene“ ergibt sich erstmals die „ursprünglich nicht in den Texten intendiert[e] … theologische Sinndimension“, dass „mit den beiden geographischen Angaben Ur in Chaldäa und Ägypten gleichzeitig die Ausgangsländer jeweils eines Exodus (der Herausführung aus Ägypten und aus dem babylonischen Exil) angegeben sind“.

Auch (S. 368) „die Anspielung auf den Exodus“ war nach Fischer „mit dem Stoff der Preisgabeerzählung … nicht ursprünglich verbunden“, denn

der Pharao von Gen 12 [ist] ein nichtsahnender Betrogener, der auf JHWHs Eingreifen hin sofort zur Wiedergutmachung bereit ist, … der Pharao des Exodus [dagegen] ein verstockter Despot, der meint, JHWHs Macht ignorieren zu können…

Erst eine priesterschriftliche Bearbeitung lässt „durch die Einbettung in den hier beschriebenen Kontext und in den gesamten Pentateuch diese Assoziation“ mitschwingen.

Wenn es überhaupt eine selbstständige Priesterschrift gegeben hat, dann konzentriert sie sich in den Abrahamgeschichten durchgehend „auf den Erzvater“ und besteht großenteils

aus kurzen Notizen: der Auszug wird 12,4bf. notiert, die Trennung von Lot in 13,6.11bf; die Hagargeschichte wird auf 16,3.15f. reduziert, der Bericht von Isaaks Geburt ist in 21,1b-5* enthalten, Abrahams Tod und Begräbnis steht als Abschluß des Zyklus in 25,7-11a. …

Entscheidende Lebensabschnitte Abrahams werden durch Altersangaben des Patriarchen markiert (12,4b; 16,3.16; 17,24; 21,5; 25,7), die Söhne werden nicht in das Lebenskontinuum der Mütter eingeordnet, sondern ausschließlich in jenes des Vaters, der ihnen auch den Namen gibt.

Dazu passt auch (S. 369), dass „P bei seiner Konzentration auf den Patriarchen weder eine Preisgabeerzählung noch eine Vertreibung Hagars und Ismaels kennt“. Die Hagarerzählung in 1. Mose 16 wird durch die Priesterschrift in den Versen 3 und 15f. allerdings in der Weise ergänzt, dass daraufhin „Gen 17,18ff. … Ismael als legitimen Sohn des Erzvaters“ betrachten kann, „den er durch die Beschneidung in seinen Bund hineinnimmt.“

An „erzählenden Passagen steuert P nur Gen 17 und Gen 23“ bei. Dabei kündigt die „Vorschaltung“ des 17. vor dem 18. Kapitel „den Sohn zuerst dem Vater, dann erst der Mutter an, sein Name wird zuerst mit der Reaktion Abrahams, dann erst mit jener Saras erklärt.“ Insgesamt (S. 370) bedeutet die

Einfügung von P in den Abraham-Sara-Zyklus … für den Kontext einen „Patriarchalisierungsschub“, der allerdings durch die Einfügung des zweiten Erzähltextes, Gen 23, etwas gemildert wird. Sara ist bereits gestorben, sie kann keine aktive Rolle mehr spielen; dennoch wird gerade sie im Tod erste Erbin des verheißenen Landes. Der Erzvater erwirbt für ihre Begräbnisstätte ein kleines Stück Land als erstes Eigentum!

Versuch der Konstruktion eines untadeligen Abraham-Bildes für den biblischen Endtext

Eine (S. 370) noch spätere Schicht der Erzelternerzählungen, die „die Frauentexte und auch Gen 22 in den heutigen Endtext“ einbettet, ist nach Irmtraud Fischer

vor allem erkennbar in Gen 18,23ff., im Gespräch Abrahams mit Gott um die Bewohner von Sodom, in den Bearbeitungsschichten von Gen 20.21 und wohl auch in den sekundären Teilen von Gen 22 [Verse 15-18], sowie in den späten Passagen von Gen 26B.

Der Erzvater ist nun zum exemplarischen Gerechten geworden, der nach der Tora lebt und daher Garant dafür ist, daß um seinetwillen Gott zu seinen Verheißungen auch in späteren Generationen steht…

In dieser Zeit wird (S. 370, Anm. 103) mit

der Einfügung des Stückes 26,2b-5* … nun auch ein eigener, durch die Übertragung der Verheißung abgesetzter ‚Isaakkreis‘ konstruiert, und damit werden die drei Generationen der Erzväter gleichwertig nebeneinandergestellt.

Dass Abraham (S. 371)

Segen sein soll für die Völker, drückt sich in seinem Eintreten für jene aus, die außerhalb der Verheißungslinie stehen. So betet Abraham 20B für den fremden König Abimelek, ist ihm leid um Ismael, der von ihm getrennt werden soll, und erst die Zusage einer heilvollen Zukunft auch für diesen Sohn veranlaßt ihn, diesen fortzuschicken. …

Durch diese letzte Schicht werden, wie bereits in den Abschnitten über die Intention der Bearbeitungen von Gen 20.21 und im Vergleich der drei Preisgabeerzählungen gezeigt, die Abraham-kritischen Passagen in einer Weise abgeschwächt, daß nun auch die Frauentexte in das Bild des korrekten, gottesfürchtigen Patriarchen passen.

Diese Schicht ist es auch, die in die „Verteidigungsrede Abimeleks gegenüber Elohim (20,4ff.) … die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes“ einträgt, „der Gerechte nicht zusammen mit Ungerechten untergehen läßt“, und die „Abraham in 20,7a*.17a in derselben Funktion wie schon Gen 18,16ff.“ darstellt (S. 372), „indem er bei Gott für die Gerechten eintritt. Die Sichtweise Abrahams als NaBIˀ [= Prophet] (20,7) wird dadurch harmonisch vorbereitet.“

Dennoch muss insgesamt das Bild Abrahams in den Erzelternerzählungen widersprüchlich bleiben:

Sind Abraham in seinem Gespräch mit Gott die vom Untergang bedrohten Gerechten von Sodom ein Anliegen, so bewahrt er selber jedoch seine eigene Umgebung nicht vor Unheil. Durch die abermalige Preisgabe seiner Frau in Vorschützung falscher Tatsachen (oder in 20B zumindest im Verschweigen der anderen Hälfte der Wahrheit) und Vorschiebung religiöser Argumente vor seine Lebensangst (20,11) gefährdet er das Leben von Gerechten, von Abimelek, dessen Untertanen und Frauen. Wenngleich der Bearbeiter von Gen 20 in vielfältiger Weise versucht, ein untadeliges Abraham-Bild zu konstruieren – ganz läßt sich das Skandalon nicht hinausschreiben, dazu ist die Grunderzählung zu eindeutig!

Und schließlich geht

auch in Gen 21B … die Retuschierung des Abrahambildes wie schon Gen 20B zulasten des Gottesbildes. Gen 20B zeichnet das Bild eines Gottes, der einem untadeligen, schuldlosen (vgl. 20,4-6) Mann mit dem Tod droht, sollte er sich weigern, die göttlichen Befehle auszuführen. Selbst die Erfüllung des göttlichen Willens vermag ihn jedoch nicht aus der Bedrohung zu retten, dafür bedarf es des Gebetes seines Erwählten. Freilich weist derselbe Gott, der die Todesdrohung ausspricht, auch den Weg aus derselben; dennoch sind seine Ratschlüsse und seine Wegweisungen zum Heil etwas Verborgenes für jene, die nicht in den Verheißungsstrom hineingenommen sind. Auch Gen 21B setzt dies fort. Gott mutet Hagar und ihrem Sohn die Verstoßung und die daraus entstehende Todesbedrohung zu, nicht ohne jedoch den Erzvater im voraus der großen Zukunft auch dieses Sohnes zu versichern und schließlich Mutter und Kind aus dem Verderben zu retten.

Erst „durch diese letzte Bearbeitung“ der Bibeltexte wird auch die Erzählung in 1. Mose 22 (S. 372f.)

zu dem, was es heute ist: Die große, unbegreifliche Glaubensprobe für den Erzvater, der stets auf Gottes Wegen ging. Auch hier wird mit einem Gottesbild konfrontiert, das um die Unergründlichkeit seiner Ratschlüsse weiß.

Steht Gen 22 auf der Ebene des ursprünglichen literarhistorischen Kontextes in der kritischen (prophetischen) Tradition, die dem Erwählten seine Vergehen vor Augen hält und für Unrecht zur Rechenschaft zieht, um Umkehr und Neuanfang mit dem Gott Israels, der ein Anwalt der Geknechteten und Preisgegebenen ist, zu ermöglichen, so steht Gen 22 im Endtext in einer theologischen Tradition, die Israel als Licht der Völker sieht. Der Erzvater hat aufgrund seiner intensiven Gottesbeziehung und seiner unbedingten Gottestreue die Funktion des Zeugen für Israels Gott. Die exponierte Stellung aufgrund seiner Erwählung bedeutet nicht nur Eintreten für andere, sondern kann auch Leiden und Prüfung bedeuten. Der Patriarch konnte damit Vorbild für die Menschen und ihre Bewährungskämpfe werden.

Aufgrund der historischen Erfahrung Israels – bis in unser dunkles Jahrhundert hinein – diente daher Gen 22 als Deutefigur des Leidensweges des jüdischen Volkes. Nicht der Schwache wird geprüft, sondern der Gerechte! Israel konnte seine Todeserfahrung in Schicksalsgemeinschaft mit Abraham, der seinen Sohn opfern mußte, und mit Isaak, der geschlachtet wurde, deuten.

Von daher kann man nach Fischer durchaus einsehen, dass

die ‚Prüfungs- und Opfer-Theologie‘ von Gen 22 eine große theologische Wirkungsgeschichte provozierte, nicht aber das Abraham-kritische Potential, wie es die ursprüngliche Intention der Erzählung im Kontext war.

Ausblick auf das kritisch-prophetische Potential der Frauentexte in den Erzelternerzählungen

In einem abschließenden Ausblick auf den Forschungsstand zu den Erzelternerzählungen macht Irmtraud Fischer noch einmal deutlich (S. 377), dass in ihnen nicht nur von Männern, sondern „von den Familien, von Frauen und Männern und deren Kindern, das erzählt“ wird,

was man in dieser Zeit lebt. Das große Interesse der EEE an den starken, eigenständigen Frauengestalten, die Adressatinnen von göttlichem Wort und göttlicher Tat sind, an ihren soziokulturellen Lebensumständen und ihrer starken Verankerung in der genealogischen Herleitung des Volkes lassen auf eine Gesellschaft schließen, in der die patriarchale Struktur keineswegs zur ausschließlichen Dominanz des männlichen Geschlechts geführt hat.

Dass in den „späteren Schichten … eine zunehmende Konzentration auf die Väter festzustellen ist und die Frauen mehr und mehr in den Hintergrund treten“, hängt Fischer zufolge „in nachexilischer Zeit mit der Konzentration auf Kult- und Reinheitsvorschriften“ zusammen. Sie weist aber auch darauf hin (S. 378, Anm. 15), dass

dieser Prozeß nicht widerstandslos vor sich ging und vor allem „die“ Theologie keine einheitliche Linie hatte, [wie] … aus den Spätschriften des ATs, etwa aus den Frauenbüchern (Rut, Ester, Judit), aus der Theologie der Frau Weisheit oder auch dem Hohen Lied hervor[geht]. lm Judentum gab es (immer) gegenläufige Strömungen; daß für unsere abendländische (christliche) Theologie und Exegese immer nur der Blick auf die Väter freigehalten wurde, hängt mit selektiver Auswahl der Texte und der damit entstandenen Wirkungsgeschichte zusammen und ist damit mehr ein Problem unserer Gesellschaft denn der altisraelitischen!

Nach Fischer lässt sich heute nicht mehr übersehen, dass in den ursprünglichen Erzählschichten des 1. Buchs Mose „immer wieder vom rettenden Eingreifen JHWHs für preisgegebene, unterdrückte Frauen die Rede ist“. Diese Texte

hatten und haben … Sprengkraft für die Befreiung von Frauen. Und sie hatten und haben kritisch-prophetische Funktion für eine Gesellschaft, die Frauen, vor allem wenn sie sozial schwach sind, der Willkür der Männer (und der höhergestellten Frauen) ausliefert.

Die Dynamik und theologische Tiefe der Texte der EEE fasziniert bis heute Menschen in der Wissenschaft und in religiösen Gemeinschaften, die die Bücher der Tora als Heilige Schriften anerkennen. Sollte das kritisch-prophetische Potential dieser Texte nicht auch in unserer Zeit, in der das weibliche Geschlecht als solches in seiner gesellschaftlichen Relevanz marginalisiert wird, wirksam werden können?

Frauen beginnen jedenfalls, diese Geschichten mit der Einsicht zu lesen, daß jene, die aufgrund des Geschlechtes diskriminieren, JHWH, den Gott Saras, Hagars und Abrahams, den Gott Rebekkas und Isaaks, den Gott Leas, Rahels, Bilhas, Silpas und Jakobs noch nicht in seiner Fülle erkannt haben.

Anmerkungen

(1) Hagar erlebt Ostern: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“

(2) Irmtraud Fischer, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36, Berlin – New York 1994. Alle Seitenzahlen dieses Beitrags beziehen sich auf die jeweils folgenden Zitate aus diesem Buch; längere Zitate sind blau hinterlegt. Bibelzitate stammen wie gewohnt aus der Lutherbibel 2017 und sind gelb hinterlegt.

(3) Mit den vier Buchstaben JHWH (dem Tetragramm) bezeichnet die hebräische Bibel den unaussprechlichen und unverfügbaren Namen des befreienden und Recht schaffenden Gottes, der nach der Endgestalt der Bibel der Eine und Einzige Gott überhaupt ist.

(4) Im 16. Kapitel des 1. Buchs Mose war bereits erzählt worden, dass diese für Sara bzw. Abraham den Sohn Ismael geboren hatte; dazu siehe Hagars Flucht: 1. Mose 16,1-16.

(5) Zur Wiedergabe hebräischer Wörter greife ich auf Großbuchstaben für Konsonanten und kleine Buchstaben für Vokale zurück. Großgeschriebene Vokale tauchen nur als Umschrift für die hebräischen Konsonanten Jod und Waw auf, wenn sie als Vokal für I bzw. O oder U stehen, oder für die beiden Knacklaute Aleph und Ajin, die beide im Anlaut mit A, Ä oder E ausgesprochen werden können und die ich zusätzlich mit ˀ bzw. ˁ umschreibe (im Deutschen werden Knacklaute nicht besonders bezeichnet, z. B. der Laut, mit dem Wörter wie „arbeiten“ oder die zweite Silbe in dem Wort „geehrt“ beginnen). Das unbetonte erste „e“ in dem genannten Wort „geehrt“ entspricht dem hebräischen Schwa, das ich mit „ə“ umschreibe.

(6) Fischer zitiert ihn (S. 19, Anm. 46) nach Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 197.

(7) Auf die beiden Hagar-Erzählungen in 1. Mose 16 und 21 wird noch ausführlicher eingegangen werden: Zwei Geschichten von Hagars Flucht oder Vertreibung.

(8) Siehe dazu meine Andacht Tamar: Opfer von Doppelmoral.

(9) Auch wenn in den Kapiteln 12 bis 17 des ersten Buchs Mose Abraham und Sara noch Abram und Sarai heißen, nenne ich sie durchgehend mit ihrem uns vertrauten Namen – außer in wörtlichen Bibelzitaten.

(10) Sie zitiert ihn (S. 126, Anm. 34) nach: Frank Crüsemann, „…er aber soll dein Herr sein“ (Genesis 3,16), in: Ders., Hartwig Thyen, Als Mann und Frau geschaffen, Kennzeichen 2, Gelnhausen 1978, S. 15-106; hier S. 74f. Die Hervorhebung in Fettschrift stammt von mir, H. S.

(11) So zitiert Fischer (S. 131, Anm. 47) den Exegeten Peter Weimar, Untersuchungen zur Redaktionsgeschichte des Pentateuch, BZAW 146, Berlin 1977, S. 11.

(12) Hier zitiert Fischer (S. 131, Anm. 48) wieder Frank Crüsemann, „…er aber soll dein Herr sein“ (Genesis 3,16), in: Ders., Hartwig Thyen, Als Mann und Frau geschaffen, Kennzeichen 2, Gelnhausen 1978, S. 15-106; hier S. 75. Die Worte in hebräischer Umschrift sind im Original in hebräischen Buchstaben geschrieben.

(13) Das hat (nach Fischer, S. 134, Anm. 55) etwa der Alttestamentler Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 170, gemeint:

Daß Abraham aber so außerordentlich gut gelogen und aus der Not noch eine Tugend gemacht hat, darüber frohlockt der Erzähler im stillen und erkennt in den klugen Praktiken seines Vorfahren in heller Freude sich selber wieder.

(14) Auch dazu zitiert Fischer (S. 134, Anm. 56) beispielhaft Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 171:

So schreitet denn Jahve ein und verhilft Abraham wieder zu seinem Weibe.

(15) Dazu führt Fischer (S. 135, Anm. 60) nochmals Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 169, an:

Zugleich preist die Sage Sara als treues Weib, die – wie ein rechtes Weib soll – selbst ihre Ehre drangibt, um das Leben ihres Herrn zu schützen“,

und fügt selbst hinzu:

frau beachte die zwischen den Gedankenstrichen eingefügte Belehrung für zeitgenössische Frauen!

(16) Nach Fischer (S. 138, Anm. 75) stammt „die Bezeichnung von Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 221, die in der Forschung allgemein übernommen wurde.“

(17) Diese Position vertritt nach Fischer (S. 191, Anm. 230) zum Beispiel Hermann Gunkel, Genesis, Göttingen 1969, 8. Auflage, S. 225:

Der Hauptunterschied der drei Erzählungen besteht darin, daß 12 unbefangen Dinge erzählt, die dem späteren Empfinden höchst anstößig erscheinen mußten, während 20 und noch mehr 26 sich bemühen, dies Bedenkliche fortzuschaffen. Alle wesentlichen Abweichungen im Inhalt der Sagen sind von hier aus zu begreifen.

(18) Hierzu verweist Fischer (S. 191, Anm. 231) unter anderem auf die diesbezüglich von Rudolf Kilian, Die vorpriesterlichen Abrahamsüberlieferungen, BBB 24, Bonn 1966, S. 213f., gesammelten Argumente:

Die Grundschicht von Gen 26 sei die älteste Version, weil sie untheologisch, profan, vom unbekannteren Isaak, dessen Name mit einem Wortspiel verankert sei, im unbekannteren Gerar handle und zudem einen geradlinigen, einfachen Verlauf habe. Die Steigerung der Dramatik lege daher eine zeitliche Abfolge von Gen 26 – 12 – 20 nahe.

(19) Fischer merkt dazu (S. 233, Anm. 338) an, dass der „früheste Beleg“ von Erzelternerzählungen „außerhalb des Pentateuchs [= der 5 Bücher Mose] in Hos 12,4ff. … Jakob bereits mit Betrug in Verbindung“ bringt.

(20) Den zeitlichen Zusammenhang mit der ‚Thronfolgeerzählung‘ Davids will Fischer allerdings (S. 243, Anm. 365) nicht so verstehen, dass sowohl diese als auch der älteste Erzählkranz der Erzelternerzählungen „in die salomonische Zeit“ anzusetzen wären. Vielmehr ist die „sogenannte ‚Thronfolgeerzählung‘ … vermutlich in einiger zeitlicher Entfernung zu den tatsächlichen Ereignissen entstanden und ist als Literatur zu sehen und nicht als Hofbericht.“

(21) Fischer fügt (S. 242) noch hinzu:

Und es ist wohl auch kein Zufall, daß der ‚Hauptwohnort‘ Abrahams und Saras in jener Gegend liegt, in der David zur Königswürde gelangte: 2Sam 2,1ff. zieht David auf ausdrückliche Anweisung JHWHs nach Hebron, wo man ihn zum König salbt (V4).

(22) Dazu verweist Fischer (S. 244, Anm. 366) auf Klara Butting, Die Gefährdung der Ahnfrau oder: Wer erzählt wohl dreimal eine ähnliche Geschichte? in der Zeitschrift Texte & Kontexte 30 (1986), S. 11-25, die auf S. 24f. „die Preisgabeerzählungen von der gottgewollten Verwirklichung eines herrschaftsfreien Verhältnisses zwischen Mann und Frau her“ deutet.

(23) Dazu verweist Fischer (S. 262, Anm. 15) auf Karen Engelken, Frauen im Alten Israel, BWANT 130, Stuttgart 1990, S. 184:

Der israelitische Mann kann sich seiner Sklavinnen und seiner weiblichen Arbeitskräfte nach seinen Vorstellungen bedienen, er kann auch sexuellen Umgang mit ihnen pflegen, geheiratet hat er sie jedoch offensichtlich nicht. Um eine vollgültige Ehe zu begründen, werden abhängige Personen in der Regel zuvor in den Stand von Freien erhoben.

Fischer fügt hinzu:

Da Hagar als Sklavin Saras bezeichnet wird, ist das Einverständnis der Ehefrau offensichtlich Vorbedingung für sexuelle Kontakte (vgl. auch Gen 30).

(24) So zitiert Fischer (S. 295, Anm. 140) Marie-Theres Wacker, 1. Mose 16 und 21: Hagar – die Befreite, in: Eva Renate Schmidt u.a., Hg., Feministisch gelesen, Bd. 1, Stuttgart 19892, S. 25-32, hier S. 28.

(25) Fischer weist (S. 296, Anm. 141) auf den „antithetischen Charakter von Gen 16 zur Exoduserzählung“ hin, den Phyllis Trible, Mein Gott, warum hast du mich vergessen!, Gütersloh 19902, S. 34, folgendermaßen aufzeigt:

Unerklärlicherweise identifiziert sich der Gott, der später angesichts (rˀh) des Leidens (ˀōnî) eines versklavten Volkes herniedersteigt, um sie aus der Hand der Agypter zu befreien (Ex 3,7-8), hier mit dem Unterdrücker und befiehlt einer Magd, nicht nur in die Knechtschaft zurückzukehren, sondern auch in das Leiden. Somit findet die Ungewißheit am Anfang dieser Episode ihre Auflösung darin, daß das Leiden gutgeheißen wird. ‚Sarai bedrückte sie‘ (16,6b) und ‚der Bote des Herrn fand sie‘ (16,7a) stehen parallel zueinander in Form und Inhalt. Umzingelt von diesen Sätzen erweist sich Hagars Flucht als vergeblich.

Im Original heißt Phyllis Tribles Buch: Texts of terror (Ouvertures to biblical theology 13), Philadelphia 19852.

(26) Priesterschriftliche Anteile gibt es nach Fischer (S. 332) im Kapitel 21 nicht. Die „Einarbeitung“ der „P-Stücke von Gen 16 … verknüpft Gen 16 … nicht mit Gen 21, sondern mit Gen 17. Eine Vertreibung Hagars mit ihrem Sohn kennt P nicht.“

(27) Der Asterisk * zeigt an, dass nicht alle Teile dieses Textes der jeweils angegeben literarischen Schicht angehören.

(28) Dazu verweist Fischer (S. 348, Anm. 38) auf Klara Butting, Die Gefährdung der Ahnfrau oder: Wer erzählt wohl dreimal eine ähnliche Geschichte? in der Zeitschrift Texte & Kontexte 30 (1986), S. 14, die die Geschichte ganz von diesem Aspekt her deutet:

Der Gott Abrahams führt aus pharaonischen Verhältnissen heraus, in denen die Frau austauschbar ist; dort wo der NAME ausgerufen wird, ist die Frau Trägerin der Verheißung Gottes.

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