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Gottes Ehre und die Erhöhung Jesu am Kreuz

Nicht einmal zehn göttliche Zeichen konnten den Ausbeuter und Sklavenhalter damals im Pharaonenreich in einen Befreier verwandeln. Verstockung ist die Verhärtung eines Herzens durch den vergeblichen Versuch, dieses Herz zu erweichen. Das wiederholt sich nun, meint Johannes. Wer lässt sich auf den Weg dieses Messias Jesus ein, der über Mose hinaus um die Befreiung aller gequälten und verzweifelten Menschen ringt?

Ein Kreuz vor der unter- oder aufgehenden Sonne
Jesus musste ans Kreuz erhöht werden – um der Befreiung der Menschen willen (Bild: sspiehs3Pixabay)

#predigtGottesdienst am Letzten Sonntag nach Epiphanias, den 20. Januar 2013, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich zum Gottesdienst in der Pauluskirche mit dem Wort aus dem Buch Jesaja 60, 2:

Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.

Wie erscheint die Herrlichkeit, die Ehre Gottes bei den Menschen? Darum geht es heute in der Schriftlesung und in der Predigt und auch in den Liedern, die wir singen.

Lied 74:

1. Du Morgenstern, du Licht vom Licht, das durch die Finsternisse bricht, du gingst vor aller Zeiten Lauf in unerschaffner Klarheit auf.

2. Du Lebensquell, wir danken dir, auf dich, Lebend’ger, hoffen wir; denn du durchdrangst des Todes Nacht, hast Sieg und Leben uns gebracht.

3. Du ewge Wahrheit, Gottes Bild, der du den Vater uns enthüllt, du kamst herab ins Erdental mit deiner Gotterkenntnis Strahl.

4. Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht, führ uns durch Finsternis zum Licht, bleib auch am Abend dieser Welt als Hilf und Hort uns zugesellt.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Das Licht, von dem wir singen, ist Gottes Wort. Als er die Welt erschuf, sprach er: „Es werde Licht“, und es ward Licht. Als er sich dem Volk Israel durch Mose offenbarte, erschien Gottes Glanz auf der Stirn des Mose. Als Jesus in die Welt kam, verkörperte er Gottes Liebe und wurde für uns alle zum Licht der Welt.

Kommt, lasst uns Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Großer Gott, aus der Dunkelheit unserer Trauer und Mutlosigkeit heraus bitten wir dich um dein Licht des Trostes und der Kraft. Aus der Finsternis einer Welt voller Unrecht und Unfrieden heraus bitten wir dich um dein Licht der Gerechtigkeit und des Friedens. Aus der Blindheit für deine Barmherzigkeit heraus bitten wir dich um Augen des Glaubens, die für deine Liebe offen sind. Wir rufen:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Mit Psalm 108 beten wir zu dem Gott Israels und der ganzen Welt:

6 Erhebe dich, Gott, über den Himmel, und deine Herrlichkeit über alle Lande.

7 Lass deine Freunde errettet werden, dazu hilf mit deiner Rechten und erhöre uns.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Vater im Himmel, lass dein Wort als Licht über uns aufgehen und in unsere Köpfe und Herzen hineinstrahlen. Lass uns verstehen, wie du diese Welt durch uns verändern willst, und lass uns auf den Wegen deines Lichtes gehen. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem 2. Buch Mose – Exodus 3, 1-10:

1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.

3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.

4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.

5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.

8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.

9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen,

10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied: Als Israel in Ägypten war – Lass mein Volk doch gehn!
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, wir haben gehört, wie Mose beauftragt wird, das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten herauszuführen. Im Predigttext aus dem Evangelium nach Johannes 12, 31-43, geht es auch um den befreienden Gott. Aber Jesus kann den Auszug aus Ägypten nicht einfach wiederholen, denn inzwischen ist die ganze Welt zu einem Sklavenhaus geworden. Das damals herrschende Weltsystem ist römisch regiert und nennt sich selbst „Kosmos“, das heißt „Ordnung“ oder „Schmuck“, in Wirklichkeit ist es ein System der Welt-Unordnung, in dem viele Menschen und Nationen ausgebeutet und zu Sklaven gemacht werden. Aus diesem Weltsystem kann ein Volk wie Israel nicht einfach auswandern und ein neues gelobtes Land finden. Wer sich trotzdem wie Jesus dem herrschenden Weltsystem entgegenstellt, um Gottes Reich der Liebe, Freiheit und Menschlichkeit unter den Menschen wachsen zu lassen, der riskiert den Konflikt mit mächtigen Leuten, die mit jedem, den sie für einen Aufständischen halten, kurzen Prozess machen.

Auf diesem Hintergrund hören wir nun aus Johannes 12 nach und nach die Verse 31 bis 43. Jesus spricht:

31 Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.

Kurz zuvor war Jesus auf einem Esel in Jerusalem eingeritten, und jetzt diskutiert er mit Griechen und Juden. Jesus sieht den Tag des Gerichts über die ungerechte Weltordnung gekommen. Sie ist gerichtet, das letzte Wort ist gesprochen. Hass und Gewalt, Kriegstreiberei und Korruption, Unrecht und Eigensucht sollen ihre Macht verlieren. Der Fürst dieser Welt mag der Teufel sein, der die Menschen vom Glauben an die Güte Gottes abhalten will; er verliert sein Aufenthaltsrecht auf der Erde. Vielleicht aber ist mit dem „Führer“ der Welt aber auch ganz konkret der Kaiser in Rom gemeint, dessen Macht bereits am Ende ist, obwohl diese Sicht den nackten Tatsachen noch widerspricht.

32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.

Hier redet Jesus sehr paradox. Er wird erhöht, das klingt nach einer Machtübernahme. Aber worin besteht diese Erhöhung?

33 Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.

Jesus lässt sich nicht etwa auf einen Thron setzen, sondern man hängt ihn hoch hinauf an ein Kreuz. Nur für Augen des Glaubens wird sichtbar, dass Jesus auf diese Weise an die Seite Gottes erhöht wird. Dort wird er unsichtbar und eins mit dem Vater regieren, um alle zu sich zu ziehen. Ja, da steht „alle“, nicht nur einige wenige. Alle Menschen will Jesus erlösen, befreien, retten. Pontius Pilatus als Repräsentant der herrschenden Weltunordnung, mag versuchen, Jesus und mit ihm die Menschlichkeit Gottes aus der Geschichte auszuradieren. Doch der Gott, der bereits Israel aus Ägypten und Babylon befreit hat, erweist mit dem Weg Jesu erneut seine befreiende Macht – er will alle Menschen aus der Gefangenschaft in Weltsysteme der Unfreiheit, des Egoismus, der Ungerechtigkeit, der Sünde, befreien.

34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?

Das Volk, das Jesus umgibt, Juden, die sich mit ihrer Tora auskennen, stellen ihm eine ernstzunehmende Frage: Der Christus, der Messias, der von Gott gesalbte Friedenskönig, er soll doch in Ewigkeit bleiben, so steht es in der Heiligen Schrift. Sie kennen auch die Worte, die der Prophet Daniel in seiner Vision vom Menschensohn aufgeschrieben hatte (Daniel 7, 13-14):

13 Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht.

14 Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.

Das ist es, was die Leute vom Menschensohn erwarten: das Ende der bisherigen bestialisch regierenden Weltreiche, eine endlich einmal menschlich regierte Welt für immer und ewig. Aber jetzt redet Jesus davon, dass der Menschensohn ans Kreuz erhöht werden muss. Das verstehen jüdische Menschen bis heute nicht, halten einen gekreuzigten Christus für einen Widerspruch in sich selbst. Darin sind sie einig mit dem Islam, denn nach dem Koran ist ein anderer an Jesu Stelle gestorben (Sure 4, 157); so schmählich könne Gott seinen Gesandten nicht sterben lassen, das ist die Überzeugung der Muslime. Die Frage ist also ernst gemeint: „Wer ist dieser Menschensohn?“ Oder: Wie kann dieser Jesus behaupten, er sei der Menschensohn, von dem es im Buch Daniel geheißen hatte: „Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.“

Jesus gibt eine Antwort in vier Sätzen. Erster Satz (Johannes 12):

35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch.

Sich selber hat Jesus als das Licht bezeichnet. Er ist das Licht, indem er in eine vom Bösen beherrschte Welt Gottes Liebe hineinbringt. Er verkörpert Gottes Wort der Liebe, er spricht es aus, er lebt es. Dieses Licht ist – so traurig es klingt – tatsächlich nur eine kleine kurze Zeit auf Erden anwesend. Diese Antwort scheint die Zweifel seiner Gesprächspartner zu bestätigen. Bleibt Jesus nicht ewig auf Erden, richtet er kein dauerhaftes Friedensreich auf, kann er nicht der von Daniel vorhergesagte Menschensohn sein, nicht der Messias Gottes.

Aber dem widerspricht Jesus. Nur vordergründig behalten die brutalen Weltherrscher ihre Macht. Gottes Licht ist dennoch schon in der Welt am Werk und steht uns zur Verfügung, wenn auch nur für begrenzte, kleine Zeit, wie Jesus im zweiten Satz sagt:

Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle.

Das Licht kommt von Gott. Es ist in Jesus sichtbar. Aber offenbar nur für diejenigen, die das Licht haben, die sich ihm öffnen, die für das Licht Augen haben. Wer keine Augen für das Licht hat, das in Jesus war und ist, der kann leicht von der Finsternis überfallen werden – und mit dieser Finsternis ist gemeint, was vor der Schöpfung war, das absolute Nichts, die Nichtigkeit der Welt, das Böse, das die Liebe Gottes leugnet und als Unsinn hinstellt.

Dritter Satz:

Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.

In der Finsternis wandeln, das heißt, so zu leben, als gäbe es Gott nicht, als gäbe es keine Liebe, keine Chance zum Frieden, als würde nur Geld und Macht zählen, egal wo es herkommt, als hätten Opfer von Gewalt und Terror, von Demütigung und Missbrauch sowieso keine Chance.

36 Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.

Jesus fordert zum schlichten Vertrauen auf das Licht auf. Er beweist nichts. Er überredet nicht. Er sagt nur: Hier ist Licht, wenn ihr darauf vertrauen mögt. Wer auf das Licht vertraut, wer Jesus auf seinem Weg nachfolgen will, der kann auch ein Kind des Lichtes werden. Aber der Menschensohn hat keine äußere Macht, um sich durchzusetzen. Im Gegenteil. Seine Erhöhung ans Kreuz ist unausweichlich.

Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Dieser Satz klingt wie eine Vorausschau auf das, was kommt: Der Messias verbirgt sich, er wird sogar verschwinden von der Erde. Er wird scheinbar scheitern; einen Messias, wie ihn das jüdische Volk erwartet hat, wird es nicht geben.

37 Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn.

Hier spüren wir die Trauer darüber, dass die Mehrheit der Juden nicht an Jesus als den Messias glauben konnte. Das Johannesevangelium ist in einer Zeit aufgeschrieben worden, als Christen bereits ausgeschlossen wurden aus den Synagogen, daraus erklärt sich die Schärfe, mit der manchmal allzu allgemein „die“ Juden angeklagt werden, den Messias abgelehnt zu haben.

Wir leben knapp 2000 Jahre später. Inzwischen hat sich die christliche Kirche erlaubt, nicht nur so zu tun, als seien die Juden überhaupt keine Gotteskinder mehr, sondern ihnen Rechte zu verweigern oder sie sogar mit Hass und Gewalt zu verfolgen. Erst nach dem Völkermord an den Juden durch das Naziregime ist die Kirche aufgewacht und besinnt sich auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens und auf das Unrecht, das durch Christen an Juden verübt worden ist.

Wenn wir also den eben gehörten Satz verstehen wollen, müssen wir uns klar machen: Damals war es der jüdische Evangelist Johannes, der Jesus als Messias erkannt hatte und seinen jüdischen Geschwistern deutlich die Leviten liest. Er sagt ihnen: Ihr wisst doch die Zeichen zu deuten, ihr habt doch die Tora Gottes, da steht drin, wer der Messias sein wird. Einer, der die Gefangenen frei macht, den Druck von den Seelen der Menschen nimmt, die Ausgestoßenen in die Gemeinschaft zurückholt, die Gebrechen der Menschen heilt, weil er weiß, woran es ihnen am meisten gebricht, wonach sie sich verzweifelt sehnen, nämlich nach Liebe. Hier darf man die Formulierung des Johannesevangeliums „Sie glaubten nicht an ihn“ nicht auf die Goldwaage legen; es ist ein polemisches Evangelium, in einer Zeit des Streits zwischen dem frühen Christentum und dem Judentum entstanden, das sich nach der Zerstörung des Tempels von den Christen abgrenzte. Gemeint ist hier ein Volkshaufen, der leicht verführbar ist, der heute Jesus als Messias zujubelt und morgen schreit: „Ans Kreuz mit ihm!“

Auf der anderen Seite erzählt das Johannesevangelium auch von Juden, die an Jesus glauben, Menschen, die Heilung erfahren, die ihm nachfolgen, die sich von seinen Zeichen und Worten überzeugen lassen.

Viel wichtiger ist, dass heute wir Christen uns selber diesen Satz vorhalten und uns fragen: Wären wir bereit gewesen, auf Jesus zu vertrauen, wenn er dieses oder jenes wunderbare Zeichen vor unseren Augen vollbracht hätte? Sind wir bereit, seinen Weg mitzugehen, auch wenn es kein Triumphzug sein wird, sondern wenn wir einer Gruppe angehören, die immer kleiner und in der Gesellschaft unbedeutender wird? Sind wir vielleicht sogar so blind geworden für die eigentlichen Anliegen Jesu, dass wir bedauern, nicht mehr so viel Macht und Einfluss im Staat zu haben wie früher, obwohl Jesus doch einen solchen Einfluss gar nicht angestrebt hat, sondern für die Menschen da sein wollte, die keine Rechte haben, die ganz unten sind?

Zurück zum Text. Noch einmal versucht der Evangelist Johannes eine Antwort auf die Frage, warum es der Mehrheit des Volkes Israel und besonders der Führungsschicht der Juden, so unmöglich erscheint, Jesus nachzufolgen:

38 So sollte erfüllt werden der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53, 1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?«

Hier beruft sich der Jude Johannes wieder auf seine Heilige Schrift, und zwar ganz konkret auf eine Stelle beim Propheten Jesaja. Der hatte auch schon erfahren, dass die Leute seiner Predigt nicht glauben wollten. Mit dem „Arm des Herrn“ ist gemeint, dass der befreiende Gott bildlich gesprochen seinen Arm ausstreckt, um einzugreifen. Das hatte Gott getan, als Israel aus Ägypten frei geworden war und als er dem Volk am Berg Sinai durch Mose seine Wegweisung in die Freiheit, seine Tora, gegeben hatte. Zur Zeit des Jesaja hing der Arm Gottes aber bedrohlich über dem Volk, weil es im Volk selbst Ausbeutung und Unrecht gab, und der Prophet kündigte an, dass dieser Weg in den Untergang der Freiheit führen würde – was dann auch eintrat, als die Babylonier Jerusalem eroberten und die Juden in die Verbannung deportierten. Johannes will seinen Zeitgenossen sagen: Heute ist es ähnlich wie damals. Ihr habt die Zeichen der Zeit nicht erkannt, darum sind jetzt die Römer die neuen Babylonier, die wieder den Tempel in Jerusalem zerstört haben. Das geschieht im Jahr 70, 40 Jahre nach dem Auftreten Jesu, aber der Evangelist Johannes blickt bereits auf dieses Ereignis zurück.

39 Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6, 9-10):

40 »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, und ich ihnen helfe.«

Das zu verstehen, fällt uns sehr schwer. Macht Gott selber die Menschen blind und ihre Herzen hart? Bestimmt Gott selber von sich aus, wer gerettet wird und wer nicht? Es gab und gibt Christen, die glauben genau das: Manche Menschen sind von Gott für die Verdammnis bestimmt und andere für die Seligkeit. Wenn Gott allmächtig und allwissend ist und im voraus weiß, wie sich Menschen entscheiden werden, kommt man vielleicht um solche Gedankengänge nicht herum. Gefährlich werden solche Gedanken, wenn wir auf die Idee kommen, uns zu fragen, ob vielleicht dieser oder jener andere Mensch oder sogar wir selbst zu den vorbestimmt Verdammten gehören könnten. Darum geht es gerade nicht. Jeder, der offen für die Barmherzigkeit Gottes ist, muss sich vor Verdammnis nicht fürchten.

Abgesehen davon kann uns die Heilige Schrift selbst genauer erklären, was Jesaja meint. Jesaja erinnert mit seinen Worten nämlich an den zentralen Abschnitt aus der Tora, in dem es um die Erlösung aus der Sklaverei in Ägypten geht. Als Mose dem Pharao immer wieder predigte: „Lass mein Volk doch gehn!“, da dachte der gar nicht daran, auf die Worte des Mose zu hören (2. Buch Mose – Exodus 5 bis 14). Nicht einmal zehn göttliche Zeichen, die sogenannten Plagen, konnten den Ausbeuter und Sklavenhalter in einen Befreier verwandeln.

Da ist zum ersten Mal in der Bibel davon die Rede, dass Gott das Herz eines Menschen verstockt, es also so hart macht wie einen Holzknüppel. Nur sehr selten lassen sich Menschen, die unrechte Macht ausüben, durch Appelle zur Umkehr bewegen. Es sei denn, es geschieht ein Wunder Gottes. Aber Wunder geschehen nicht automatisch oder indem Gott den Willen eines Menschen bricht. Lässt sich ein Mensch von Gott anrühren, und er kehrt um, dann ist es ein Wunder von Gott; lässt er sich nicht berühren, dann bleibt der Mensch dafür verantwortlich, und trotzdem sagt die Bibel, es war eine Verstockung durch Gott. Wir können sagen: Verstockung ist die Verhärtung eines Herzens durch den vergeblichen Versuch, dieses Herz zu erweichen.

Genau das wiederholt sich nun, meint Johannes; es geht ihm also nicht einfach um die Frage: Wer glaubt an Jesus als Messias oder nicht? Sondern es geht darum: Wer lässt sich auf den Weg dieses Messias ein, der wie Mose um die Befreiung seines Volkes ringt, ja, mehr noch, um die Befreiung aller gequälten und verzweifelten Menschen in der ganzen Welt.

41 Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.

Noch einmal spricht Johannes von dem Gott, dessen Herrlichkeit der Prophet Jesaja in einer Vision gesehen hatte. Das Wort „doxa“, das Luther hier mit „Herrlichkeit“ übersetzt, geht auf das hebräische Wort „Kabod“ zurück, das eigentlich ein schweres Gewicht bezeichnet. Gemeint ist die ganze „Wucht“ und Power, mit der Gott sich dafür einsetzt, dass sein Volk frei wird und auf dem Weg der Freiheit bleibt.

In zwei abschließenden Versen wird einiges von dem, was bereits gesagt wurde, noch einmal bestätigt:

42 Doch auch von den Oberen glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden.

43 Denn sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott.

Einmal bestätigt sich hier: Der Evangelist Johannes weiß selber, dass sich nicht alle Juden gegen Jesus gewendet haben. Hier sind es sogar „auch“ viele aus der Oberschicht, die von Jesus eigentlich überzeugt sind. Zum zweiten bestätigt sich, dass Johannes hier indirekt auf den Streit zwischen Christengemeinde und Synagoge zu seiner Zeit eingeht, in der eben tatsächlich Anhänger Jesu Christi aus der Synagoge ausgeschlossen wurden.

Ein Drittes ist interessanter: Die Frage an die Oberen im Volk Israel, welche Ehre ihnen wichtig ist, ist auch eine Frage an uns: Haben wir lieber Ehre bei den Menschen oder Ehre bei Gott? Luther übersetzt hier mit „Ehre“ dasselbe Wort „doxa“, das er eben mit „Herrlichkeit“ übersetzt hatte. Es geht also darum, ob wir bereit sind, dem Gott die Ehre zu geben, dessen Ehre und Herrlichkeit und ganze Power und Wucht darin besteht, dass er erniedrigte und verzweifelte Menschen aufrichten, trösten, befreien und in ein von Liebe erfülltes Leben führen will. Oder wollen wir Menschen die Ehre geben, die ihren eigensüchtigen Interessen folgen oder aus Angst vor Nachteilen ihre innersten Überzeugungen verleugnen?

Wer an Jesus glaubt, der glaubt an das Licht, an die Herrlichkeit Gottes, die bereits über dem Volk Israel aufgeleuchtet ist. Seit der Erhöhung Jesu an das Kreuz des Pilatus und in den Himmel Gottes könnte diese Herrlichkeit aller Welt offenbar sein – wo Menschen sich ihr im Vertrauen öffnen. Dieses Vertrauen auf Jesus ist nicht mit Gewalt oder Druck gegen andere durchsetzbar, sondern es wächst und bewährt sich dort, wo wir selber ganz schlicht Jesus auf seinem Weg der Menschlichkeit nachfolgen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 71:

1. O König aller Ehren, Herr Jesu, Davids Sohn, dein Reich soll ewig währen, im Himmel ist dein Thron; hilf, dass allhier auf Erden den Menschen weit und breit dein Reich bekannt mög werden zur Seelen Seligkeit.

2. Von deinem Reich auch zeugen die Leut aus Morgenland; die Knie sie vor dir beugen, weil du ihn‘ bist bekannt. Der neu Stern auf dich weiset, dazu das göttlich Wort. Drum man zu Recht dich preiset, dass du bist unser Hort.

3. Du bist ein großer König, wie uns die Schrift vermeld’t, doch achtest du gar wenig vergänglich Gut und Geld, prangst nicht auf stolzem Rosse, trägst keine güldne Kron, sitzt nicht im steinern Schlosse; hier hast du Spott und Hohn.

4. Doch bist du schön gezieret, dein Glanz erstreckt sich weit, dein Güt allzeit regieret und dein Gerechtigkeit. Du wollst die Frommen schützen durch dein Macht und Gewalt, dass sie im Frieden sitzen, die Bösen stürzen bald.

5. Du wollst dich mein erbarmen, in dein Reich nimm mich auf, dein Güte schenk mir Armen und segne meinen Lauf. Mein‘ Feinden wollst du wehren, dem Teufel, Sünd und Tod, dass sie mich nicht versehren; rett mich aus aller Not.

6. Du wollst in mir entzünden dein Wort, den schönen Stern, dass falsche Lehr und Sünden sein meinem Herzen fern. Hilf, dass ich dich erkenne und mit der Christenheit dich meinen König nenne jetzt und in Ewigkeit.

Fürbitten – Stille – Vater unser
Lied 425: Gib uns Frieden jeden Tag
Abkündigungen

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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