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„Wie der Blitz aufblitzt und leuchtet“

Wer krampfhaft um sein Ego kreist, entweder indem er sich selbst ausbeutet oder auf Kosten anderer lebt, setzt das Echtheitssiegel seines Lebens aufs Spiel. Überleben können wir mit Tricks, Selbstausbeutung, Suchtmitteln. Eine Zeitlang tragen solche Überlebensmechanismen. Echtes Leben gelingt, wenn wir loslassen, womit wir uns und andere kaputtmachen.

Ein Blitz, der quer über den schwarzen Himmel schießt
„Wie der Blitz aufblitzt und leuchtet“ (Bild: mikegiPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, den 9. November 2003, um 10.00 Uhr in der Pauluskirche zu Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich im Gottesdienst am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr. Der November gilt als trüber und trauriger Monat, und die letzten Sonntage, bevor im Advent das Kirchenjahr neu beginnt, haben mit schwierigen Themen wie Tod, Volkstrauer und dem Jüngsten Gericht am Ende der Zeiten zu tun.

Trotzdem oder gerade deswegen soll dieser Gottesdienst Mut machen – „Mut zum echten Leben“. Auch das Bibelwort zur kommenden Woche aus 2. Korinther 6, 2, ist ein Wort zum Mutfassen:

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“

Wir singen das Lied 152:

1. Wir warten dein, o Gottes Sohn, und lieben dein Erscheinen. Wir wissen dich auf deinem Thron und nennen uns die Deinen. Wer an dich glaubt, erhebt sein Haupt und siehet dir entgegen; du kommst uns ja zum Segen.

2. Wir warten deiner mit Geduld in unsern Leidenstagen; wir trösten uns, dass du die Schuld am Kreuz hast abgetragen; so können wir nun gern mit dir uns auch zum Kreuz bequemen, bis du es weg wirst nehmen.

3. Wir warten dein; du hast uns ja das Herz schon hingenommen. Du bist uns zwar im Geiste nah, doch sollst du sichtbar kommen; da willst uns du bei dir auch Ruh, bei dir auch Freude geben, bei dir ein herrlich Leben.

4. Wir warten dein, du kommst gewiss, die Zeit ist bald vergangen; wir freuen uns schon überdies mit kindlichem Verlangen. Was wird geschehn, wenn wir dich sehn, wenn du uns heim wirst bringen, wenn wir dir ewig singen!

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Die Worte eines 236 Jahre alten Liedes haben wir gesungen. Worte, die Mut machen. Wir dürfen erhobenen Hauptes und mit aufrechtem Gang Christus entgegengehen, wenn er kommt. Wir dürfen belastende Schuld abwerfen an seinem Kreuz und müssen das eigene Kreuz nicht ewig tragen. Wir dürfen mit kindlicher Freude auf ewiges, echtes, erfülltes Leben hoffen, das hier auf Erden beginnt und mit unserem Tode nicht verlorengeht.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Warten auf Christus? Warten, dass er wiederkommt, sichtbar in unser Leben hinein? Den meisten von uns sind solche Gedanken fremd, praktisch undenkbar: An Christus können wir glauben, dass er uns unsichtbar begleitet, dass wir zu ihm kommen im ewigen Leben, wenn wir sterben. Aber Christi Wiederkunft hierher auf unsere Erde – wie soll das gehen? Wir zweifeln.

Andere Christen glauben einfach, was in der Bibel steht. Christus wird wiederkommen. Aber wann – das wissen wir nicht. Zeit und Stunde wusste nicht einmal Jesus selbst.

Wieder andere Mitmenschen würden am liebsten genau ausrechnen, wann Christus denn nun wiederkommt, so wichtig ist ihnen die Predigt vom Untergang der Welt und ihrer Erneuerung. Wir sehen einige von ihnen mit dem „Wachtturm“ am Seltersweg stehen. Sie scheinen viel weniger zu zweifeln als wir.

Gott, nimm uns ernst in der Art, wie wir glauben, und auch an den Stellen, wo wir Zweifel haben. Hilf uns zugleich, dich ernstzunehmen in dem, was dein Wort uns wirklich sagen will.

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Paulus spricht in seinem Brief an die Römer 14 von der Zuversicht, dass wir im Leben und im Tod zu Christus gehören, egal wie lange es dauert, bis er wiederkommt und wie das aussehen wird:

7 Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.

8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, dürfen wir damit rechnen, dass dein Sohn Jesus Christus wiederkommt? Schenke uns Durchblick und Einsicht, dass wir dich nicht herausrechnen aus dieser Welt, dass wir uns aber auch nicht verrechnen im Warten auf dein Erscheinen. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören den Anfang des heutigen Predigttextes aus dem Evangelium nach Lukas 17, 20-37:

20 Als [Jesus] von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann;

21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen das Lied 638:

Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! „Wann kommt das Reich Gottes?“, so fragen wir wie zur Zeit Jesu in  Lukas 17 die Pharisäer Jesus fragen. Kommt es am Ende der Welt, wenn Christus sichtbar wiederkommt auf die Erde? Oder sind solche Vorstellungen überholt, seit man weiß, dass die Erde ein kleiner Planet am Rande einer Galaxis ist – und zwar einer von vielen Galaxien im Weltall?

Ich schlage vor, dass wir zunächst darüber nachdenken, was überhaupt das Reich Gottes ist. Es ist ja nicht einfach ein Land oder ein Zustand, den es irgendwann oder irgendwo einmal geben wird, sondern damit ist etwas gemeint, was sich die Menschen erträumen: Frieden und Gerechtigkeit zum Beispiel. In diesem Gottesdienst nenne ich es „echtes Leben“, wenn wir unser Leben als erfüllt empfinden. Das muss nicht immer nur Spaß machen, das kann anstrengend oder sogar randvoll mit Leid angefüllt sein und trotzdem weiß man: es macht Sinn, es ist gut so. Jugendliche würden sagen: echtes Leben ist da, wo man sich unter Freunden oder in der Familie aufeinander verlassen kann.

Wann kommt das Reich Gottes? Zur Zeit Jesu gab es Leute, die diese Frage kalt ließ. Den Mächtigen im Land ging es materiell so gut, dass sie keine besondere Sehnsucht nach dem Reich Gottes hatten, ähnlich wie heute den Völkern im Westen und Norden der Erde. Den meisten Menschen ging es aber so schlecht unter der Besatzung der römischen Weltherrscher, dass sie glaubten: diese Welt wird und muss bald untergehen. Dann beginnt Gottes Reich! Die Frage war nur: Wann kommt es? an welchen Vorzeichen erkennt man es? (so wie heute in manchen Kreisen Nostradamus gelesen wird), kann man es durch Gewalt beschleunigen? (so dachten die zelotischen Terrorkämpfer) oder kommt es schneller, wenn man alle Gebote Gottes erfüllt? (das war die Überzeugung der Pharisäer). Diese Pharisäer sind es auch, die an Jesus die Anfrage richten: Wann fängt es denn an, das echte Leben? Wie lange müssen wir warten, bis endlich Elia vom Himmel kommt und sichtbar auf Erden das Friedensreich aufrichtet?

20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann;

21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Für Jesus ist das Reich Gottes kein Machtbereich dieser Welt, kein Kirchenstaat und kein Staatenverbund; es lässt sich nicht soziologisch oder politikwissenschaftlich beobachten und analysieren. Aber was ist es dann, wann kommt es denn?

Jesus lehnt die „Wann“-Frage ab. Er sagt, halbwegs wörtlich aus dem Griechischen übersetzt: „Das Reich Gottes ist bereits innerhalb von euch.“ Das kann hier nicht bedeuten: „Es ist in euch“, denn Jesus redet ja die Pharisäer an, die Jesu Willen damals am wenigsten begreifen konnten oder wollten. Ihnen reibt Jesus eine Provokation unter die Nase: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, schaut euch nur um! Da wo Menschen kindlich auf Gott vertrauen, wo Ihnen die Sünde vergeben wird, da fängt Gottes Reich an. Wo die bösen Geister der seelischen Qual ihre Macht verlieren und wo körperliche Krankheit nicht mehr als Beweis des Gestraftseins von Gott gelten, wo Menschen anfangen, ihr Hab und gut zu teilen und ihre Feinde zu lieben, da gibt es echtes Leben. Denn Gottes Reich ist da, wo Menschen unter Gottes liebevollen Einfluss geraten und sich verwandeln lassen. Sie gewinnen Mut zu einem Leben, das mehr ist als ein Dahinvegetieren ohne Sinn und Verstand. Menschen unter dem Einfluss Gottes fangen an zu vertrauen, zu lieben, zu hoffen.

Mehr sagt Jesus den Pharisäer nicht. Aber seinen Jüngern hat er noch mehr zum Thema zu sagen:

22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.

23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!

Was soll das denn nun? Hat Jesus nicht gerade gesagt, dass Gottes Reich mitten unter den Menschen schon da ist? Fängt es nicht genau dort an, wo die Jünger Jesu Liebe spüren? Jetzt redet Jesus von einer Zukunft, in der er nicht mehr sichtbar auf Erden leben wird. Er weiß: Dann wird es auch Zeiten geben, in denen man sich vergeblich nach den Tagen des Menschensohnes sehnen wird. „Lebten wir doch wieder in der Zeit Jesu und könnten wir die Wunder miterleben, die er getan hat!“, werden sich manche die alten Zeiten zurückwünschen. „Wenn doch endlich das Jüngste Gericht anbräche und die Bösen in der Welt ihre gerechte Strafe erhielten!“, werden andere die Zukunft zu beschwören versuchen. Interessant ist: Auch seine Jünger warnt Jesus davor, das Reich Gottes sichtbar vor Augen haben und darauf zeigen zu wollen: „Siehe da, siehe hier!“ Propheten, die uns den genauen Zeitpunkt des Weltuntergangs vorrechnen, sind falsche Propheten; solch ein Versuch, das Reich Gottes unter Kontrolle zu bringen, muss scheitern. Wer auf der anderen Seite dazu rät: „Hört auf zu warten, richtet hier auf Erden das Reich Gottes mit eigenen Händen auf!“, auch das sind falsche Propheten; denn das Reich Gottes, das schon mitten unter uns ist, ist kein fertiges Reich, womöglich handgefertigt von uns selber.

Noch einmal beantwortet Jesus die Frage nach dem „Wann?“, indem er sie umdeutet. Er sagt nicht, in wie viel Jahren das Reich Gottes anbricht. Er sagt nicht wie lange man noch die Hände in den Schoß legen kann, bevor es ernst wird. Er gibt keine beruhigende Auskunft im Sinne von: alle Anzeichen sprechen dafür, dass es noch sehr lange dauern wird. Er sagt: Wenn Gottes Reich kommt, dann so, dass keiner damit rechnet.

24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Das echte Leben ist etwas zum Staunen, unverfügbar für menschliche Kontrolle – eben wie ein Blitz aus heiterem Himmel einschlägt. Zugleich ist es unübersehbar für alle Menschen – wie ein Blitz, der über den ganzen Himmel hin leuchtet und alle zusammenzucken lässt.

Für mich hat dieses Bild vom Blitz Ähnlichkeit mit dem Geist, der weht, wo er will. Nicht wir sind es, die ihn wehen lassen, den Heiligen Geist. Wie die Flügel einer Mühle vom Wind bewegt werden, so bewegt uns Gottes Geist – manchmal auch in eine Richtung, die wir nur widerstrebend einschlagen. So ist es auch mit dem Reich Gottes – es ist nicht unser Werk. Wenn es erscheint, wird nicht mehr diskutiert oder demokratisch entschieden, ob es sich wirklich um das Reich Gottes handelt – blitzartig wird jedem klar: das ist der Tag des Menschensohns, jetzt ist die Entscheidung da, Gerechtigkeit ist hergestellt, Versöhnung ist da, echtes Leben ist leb-bar.

Allerdings: Jede Wahrscheinlichkeit spricht gegen die Voraussage, dass der Menschensohn es schaffen wird, dieses Reich des Friedens und der Gerechtigkeit herbeizuführen. Denn Jesus sagt selber:

25 Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht.

Nicht nur das reale Leiden Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz ist hier im Blick, sondern dass er auch später abgelehnt werden wird – die Mehrheit der Menschen verwirft diesen Jesus, der eine Welt des Hasses verändern will mit Liebe. In diesem Satz wird deutlich: Zwar ist Gottes Reich schon mitten unter uns, wo mit dem Gottvertrauen auch viele andere Früchte des Heiligen Geistes wachsen. Doch es wächst in der Verborgenheit, nicht sichtbar für alle Augen. Es ist gegenwärtig und zukünftig zugleich. Das Reich Gottes kann man nur, wie jemand einmal treffend gesagt hat, tätig erwarten. Das heißt: Weil es kommt, ohne dass wir es erzwingen, können wir den Mut aufbringen, die nötigen Schritte auf das Reich Gottes hin zu tun.

An dieser Stelle warnt Jesus mit harten Worten. Er hat ja eingeladen, sich von Gottes Liebe anstecken zu lassen und Gott mehr zuzutrauen als dem eigenen Pessimismus. Diesem echten Leben stellt Jesus andere Bilder gegenüber – Leben, das schneller vorüber ist, als es zu seiner Erfüllung gefunden hat:

26 Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird’s auch geschehen in den Tagen des Menschensohns:

27 sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um.

Jesus bringt die Sintflut nicht als Strafgericht ins Spiel. Von ganz normalen Menschen erzählt er, die für ihren Lebensunterhalt und den Fortbestand ihrer Familie sorgen – aber welchen Sinn hat das alles, wenn eine Katastrophe sie hinwegrafft?

28 Ebenso, wie es geschah zu den Zeiten Lots: Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten;

29 an dem Tage aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um.

Auch die Menschen, die in Sodom umkommen, schildert Jesus nicht in ihren Lastern und ihrer Bosheit. Sie ernähren sich, betreiben Handel und Landwirtschaft, bauen Häuser. Aber die Frage ist: Ist das alles schon echtes Leben?

30 Auf diese Weise wird’s auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn wird offenbar werden.

Ich erschrecke, wenn Jesus den Tag seines Kommens mit der Sintflut und mit Sodoms Untergang verbindet. Aber will er wirklich voraussagen, dass wir alle in einer solchen Katastrophe enden oder durch sie hindurchgehen müssen?

Ich denke: Nein! Wenn das Reich Gottes immer mitten unter uns ist, wie Jesus sagt, dann ist es mit dem Reich Gottes auch immer so wie bei einem Weltuntergang: unser ganzes Leben steht dabei auf dem Spiel. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, heißt es; ja, wir könnten jeden Tag sterben, das wäre das Ende unserer persönlichen Welt, wenn auch die Welt für andere weiterläuft. Jesus warnt uns davor zu denken: Das Reich Gottes geht uns nichts an, denn die Welt wird schon nicht so schnell untergehen. Wer so lebt, als könnte dieser Tag sein letzter sein, wird das Heute als kostbares Geschenk dankbar annehmen.

Das Reich Gottes führt also zwar in eine neue Zukunft, aber es fängt nicht erst irgendwann in der Zukunft an. Wenn es da ist, dann ist es jetzt da, und wir können nicht vorhersagen, wann das sein wird. Letzten Endes geht es darum, jeden Tag mit Jesu Liebe zu rechnen. „Jetzt ist die Zeit der Gnade, heute ist der Tag des Heils.“ Auf den Beginn des Reiches Gottes müssen wir nicht warten – in diesem Augenblick ist es mitten unter uns.

31 Wer an jenem Tage auf dem Dach ist und seine Sachen im Haus hat, der steige nicht hinunter, um sie zu holen. Und ebenso, wer auf dem Feld ist, der wende sich nicht um nach dem, was hinter ihm ist.

32 Denkt an Lots Frau!

Es ist, als wolle Jesus sagen: Es gibt Entscheidungen, die vertragen kein Herumeiern, kein Sowohl-Als-auch. In der Geschichte von Lot und seiner Frau gab es auch nur eins: Raus aus der Stadt, und zwar schnell, sonst war man verloren. Für manche Menschen stürzt eine Welt zusammen, wenn sie im Rahmen einer Therapie die vertraute Sicht der Dinge aufgeben müssen, wenn plötzlich Glaubenssätze, die immer gestimmt hatten, in Frage gestellt sind. Auch für sie gilt an irgendeinem Punkt: Es gibt kein Zurück mehr. Was hinter mir liegt, hat seine Tragfähigkeit endgültig verloren. Es hat mir überleben helfen, aber auf meinem Weg in die Zukunft und in die Freiheit würde es mich behindern.

Jesus kann nachfühlen, dass es einem so vorkommt, als würde einem alles genommen, wenn man sich auf Gott einlässt, auf Vertrauen, auf Liebe, auf die Gewissheit: Gott nimmt mich so an, wie ich bin. Ja, soll denn alles falsch sein, was ich in meinem Leben geglaubt habe? Ist es nicht besser, an vertrauten Sicherheiten festzuhalten? Soll ich glauben, dass ich geliebt bin – auf die Gefahr hin, doch wieder enttäuscht und verletzt zu werden? Jesus weiß, wie gefährlich es sein kann, sich auf Liebe einzulassen, trotzdem behauptet er:

33 Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen.

Wer krampfhaft um sein Ego kreist, entweder indem er sich selbst ausbeutet oder auf Kosten anderer lebt, setzt das Echtheitssiegel seines Lebens aufs Spiel, die Würde, nach Gottes Ebenbild geschaffen und vor ihm verantwortlich zu sein. Überleben können wir mit Tricks, mit Selbstausbeutung, mit Hilfe von Suchtmitteln. Eine Zeitlang tragen solche Überlebensmechanismen. Echtes Leben gelingt nur, wenn wir loslassen, womit wir uns und andere kaputtmachen.

Krass drückt Jesus aus, wie nah die Entscheidung zwischen echtem und unechtem Leben beieinanderliegen kann, und dass niemand von außen entscheiden kann, ob ein Menschenleben erfüllt ist oder nicht:

34 Ich sage euch: In jener Nacht werden zwei auf einem Bett liegen; der eine wird angenommen, der andere wird preisgegeben werden.

35 Zwei Frauen werden miteinander Korn mahlen; die eine wird angenommen, die andere wird preisgegeben werden.

Mit einer merkwürdigen Frage der Jünger und einer merkwürdigen Antwort Jesu hört der Predigttext auf:

37 Und sie fingen an und fragten ihn: Herr, wo? Er aber sprach zu ihnen: Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier.

Die Jüngern geben immer noch nicht auf. Sie wollen etwas Handfestes über das Reich Gottes wissen. OK, sie sollen nicht fragen, wann es kommt. Stattdessen fragen sie kleinlaut: „Wo?“ Sie haben immer noch nicht begriffen. Sie suchen Gottes Reich immer noch als einen besonderen Ort auf der Erde.

Nein, sagt Jesus, wenn ihr so fragt, erreicht ihr nur das unechte Leben, den Tod, den Ort, an dem sich die Geier sammeln. Mensch, Leute, meint er, sucht doch das echte Leben – es ist mitten unter euch, wo ihr euch einlasst auf Gott, auf mich, aufeinander. Lasst zu, dass ihr geliebt seid, dass ihr lieben könnt. Lasst Vertrauen und Hoffnung zu. Dann erfahrt ihr das Reich Gottes als Geschenk – heute, jeden Tag und in Ewigkeit. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 621:

Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich still und leise

Lasst uns beten!

Gott, Vater Jesu Christi, hilf uns die Spuren deiner Liebe in unserem Leben zu erkennen. Mach uns aufmerksam auf dein Reich, das mitten unter uns wächst, wo Vertrauen und Hoffnung gedeihen. Lass uns heute auf deine Stimme hören, die uns liebevoll anspricht und zum echten Leben ermutigt.

Gott, Vater Jesu Christi, lass uns heute am 9. November gute Lehren aus der Geschichte ziehen:

Aus der Landung der Pilgerväter am 9. November 1620 in Amerika: Lehre uns bedenken, dass Freiheit bedroht ist, wenn ein mächtiges Land die Freiheit anderer Länder bedroht.

Aus der Revolution am 9. November 1918 in Deutschland und dem Beginn der Weimarer Republik: Lehre uns, sorgsam mit dem Geschenk der Demokratie in unserem Land umzugehen.

Aus dem Judenpogrom am 9. November 1938: Lehre uns bedenken, dass der Hass auf Juden oder andere Fremde damals wie heute unmenschlich ist und in die Katastrophe führt.

Aus dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989: Lehre uns bedenken, dass die deutsche Einheit ein unverdientes Geschenk deiner Gnade war und dass wir den inneren Frieden in unserem Land nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen, auch in einer Zeit, in der wir sparen müssen.

In besonderer Weise schließen wir heute drei Verstorbene aus der Paulusgemeinde in unser Gebet ein, die alle drei in der gleichen Straße gewohnt haben: … . Nimm sie, für die ihr Leben auf dieser Erde vorüber ist, gnädig auf in dein ewiges Reich. Begleite ihre Angehörigen auf dem Weg ihrer Trauer und hilf ihnen, Trost zu finden in der Erinnerung, im allmählichen Loslassen, in der Zuversicht, dass echtes Leben möglich ist, hier und in der Ewigkeit. Amen.

In der Stille bringen wir vor Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 634:

Die Erde ist des Herrn. Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben
Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag gehen – wer möchte, ist im Anschluss noch herzlich zum Beisammensein mit Kaffee oder Tee im Gemeindesaal eingeladen.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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