Ich referiere Eugen Drewermanns eindringliche Analysen eines systematischen Versuchs der Angstbekämpfung durch weltweite Angstverbreitung, die letzten Endes dem Götzen Mammon dient. Ob die Bergpredigt, so wie er sie liest, einen gangbaren Weg zum Frieden für alle Menschen bereitstellt, lässt Fragen offen.

Inhaltsverzeichnis
Referat im Ruhestandskreis des Evangelischen Dekanats Gießen am 11.11.2024
Kapitel I: „Raus aus dem Teufelskreis der Angst“
Kapitel II: „Entwicklung der Waffentechnik“
Kapitel III: „Moralische Aufrüstung“
Kapitel IV: Passiver Widerstand gegen den „Irrsinn der Gewalt“
Kapitel V: Der Götze Mammon als „der Nerv des Krieges“
Kapitel VI: Die „Bergpredigt als Weg zum Frieden“
↑ Referat im Ruhestandskreis des Evangelischen Dekanats Gießen am 11.11.2024
In seinem Buch „Nur durch Frieden bewahren wir uns selber“ <1> widerspricht Eugen Drewermann dem Satz (12): „Mit der Bergpredigt kann man nicht Politik machen“. Max Weber <2> hat zwar „zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik“ unterschieden (12f.):
Danach darf der Einzelne als Christ oder Privatmann ruhig pazifistisch gesonnen sein, ein Politiker aber muß wissen, daß unter gegebenen Bedingungen aus guten Taten nicht immer nur Gutes und aus bösen Taten nicht immer nur Böses entsteht – wer das nicht weiß, ist politisch ein Kind.
Dem setzt Drewermann unausgesprochen Matthäus 18,3 entgegen: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so kommt ihr nicht ins Königreich der Himmel“. Ausdrücklich macht er von vornherein klar, dass er nur den Forderungen der Bergpredigt folgen will, wie er sie versteht, und keine davon abweichende „Verantwortungsethik“ gelten lassen will.
Was will nach Drewermann (20) „die Bergpredigt“? Sie will „unser Verhalten im ganzen ändern – von Angst in Vertrauen, von Gewalt in Güte, … von Verurteilen in Verstehen“. Doch „eben deshalb“ darf man aus ihr auch keine „Übermoral“ machen, die den einzelnen überfordert. Diesen Gedanken müssen wir sorgfältig im Gedächtnis bewahren, um in der Besprechung von Drewermanns Kapitel IV auf ihn zurückzukommen.
In der Einleitung seines Buches beschränkt sich Drewermann auf den Hinweis (21), dass die Bergpredigt keine Sonderethik ist für Ordensleute oder gute Christen, an die nach der „protestantischen Zwei-Reiche-Lehre“ aber „der Staat … als eine Notmaßnahme Gottes zum Schutz … der ‚Guten‘ vor den ‚Bösen‘ … nicht gebunden“ ist. Er will (23) „die Tragödie des Krieges mit der Botschaft der Bergpredigt konfrontieren, weil wir soeben zu jener ‚Zeitenwende‘ gedrängt werden, in der“ unsere Bundeswehr „wieder kriegstauglich und wehrhaft gemacht werden“ soll.
↑ Kapitel I: „Raus aus dem Teufelskreis der Angst“
Auf die Frage (25) „Warum Krieg?“ verweist Drewermann zunächst auf den „Teufelskreis der Angst“. Worin besteht dieser? Tiere (29) reagieren auf das „Warnsignal der Angst bei der Wahrnehmung einer Gefahr … reflexartig“ mit „Flucht oder Angriff“. Ist die Gefahr vorbei, passiert nichts weiter. Wir Menschen dagegen haben ein „planendes Bewußtsein“. Wir versuchen (29f.), „die Ursachen der Gefährdung zu erkennen und nach Möglichkeit auszuschalten“, und zwar möglichst endgültig (31): „Mit allen Gefahren der Natur verfahren wir so; nichts aber gibt es, was einem Menschen so gefährlich werden könnte wie ein anderer Mensch.“ Selbst nach einem Sieg im Krieg (32) ist unter Menschen „eine endgültige Sicherheit … nicht zu gewinnen. Im Gegenteil, es steht zu befürchten, daß der geschlagene Feind schlagkräftiger zurückkehrt. Durch seine Niederlage ist die Gefahr nicht gebannt, sie hat sich vergrößert.“ Nur wer (35f.) „dem anderen so viel an Angst bereitet, wie er vor diesem selbst empfindet, wähnt … sich in einem … Gleichgewicht des Schreckens relativ in Sicherheit… Das Angstproblem soll nicht gelöst werden durch Abbau der Angst, sondern durch Verbreitung von Angst.“ Damit wird (36f.) die für „die Einzelnen als Staatsbürger … [geltende] Goldene Regel der Bergpredigt Mt 7,12 vom Staat in ihr Gegenteil verkehrt“. Nach Arthur Schopenhauer <3> lautet „die Maxime aller Politik: ‚Was du nicht willst, das man dir tu, das füge jedem andern zu.‘ … Du mußt dem Bösen, das du fürchtest, zuvorkommen, indem du‘s selber tust.“
Indem auch (37f.) „außerhalb der akuten Kriegszeiten“ Angst verbreitet wird, meint man „durch wechselseitige Abschreckung“ Kriege verhindern zu können. „[B]ei Tieren ist das Ritual des Imponiergehabes weitgehend genetisch festgelegt“. Am Ende gibt „der Schwächere … nach, das Drohen erübrigt die tätliche Auseinandersetzung.“ Das ist anders bei uns Menschen. „Uns sagt der Verstand, daß es fatal wäre, Schwäche zu zeigen“. Ein Extrembeispiel dafür ist (35), dass „die Bürger der USA … mit ihren 340 Mio. Einwohnern über 400 Mio. Schußwaffen verfügen und ihre Regierung Jahr für Jahr mehr als 800 Mrd. Dollar nur für das Militär ausgibt – zwölfmal so viel wie … Rußland“.
Hinzu kommt die Rolle (39), die die Lüge im Rahmen der wechselseitigen Angstverbreitung spielt. Immanuel Kant <4> meinte, ein „Politiker müsse die Wahrheit sagen, sonst untergrabe er die Grundlage des Vertrauens, das für alle Verhandlungen zu Friedensabschlüssen unerläßlich sei“. „[S]ein Schüler Schopenhauer <5>“ dagegen sieht „in der Lüge eine Form der Gewalt, die so berechtigt sei, wie der Gebrauch der Gewalt selbst“. Als Beispiel dafür nennt Drewermann (40) den dunklen „Vorhang der Vertuschung und Verschleierung … über allem, was ‚Militär‘ und ‚Sicherheit‘ angeht“. Man denke nur an die Folgen, als Julian Assange „die Kriegsverbrechen der Amerikaner im zweiten Irak-Krieg oder in Afghanistan veröffentlicht“ hat, oder daran (40f.), dass vor „der eigenen Bevölkerung“ alles geheimgehalten werden muss, was etwa „zur Herstellung ‚biologischer Waffen‘ … getestet“ oder „in … chemischen Fabriken an Giftstoffen hergestellt wird“.
Im Atomzeitalter ist nach Drewermann jedoch (42) „Sicherheit durch Abschreckung“ eine Illusion. Fatal ist „das Streben nach der Erstschlagkapazität: wenn man durch ein satellitengestütztes Abwehrsystem so gut wie alle einfliegenden Raketen des Gegners abfangen könnte, so wäre es wieder glaubhaft, ihm mit einem atomaren Angriff zu drohen“. Daher muss man ernstnehmen (43), was eine Stationierung von „Raketen mit Hyperschallgeschwindigkeit … im Baltikum oder in der Ukraine, in Georgien oder in Finnland“ für die Sicherheit Russlands bedeuten würde, insbesondere für „die Millionenstädte Petersburg, Moskau oder Wolgograd“.
Der einzige Ausweg (44) aus dem „Irrenhaus“ der Angst sind nach Drewermann „die Worte Jesu“ etwa „in Joh 16,33: ‚Das sage ich euch, damit ihr in mir Frieden habt: In der Welt habt ihr Angst, doch bleibt furchtlos, ich habe die Welt überwunden.‘“ Wie jedoch (48) „ein Friede der Angstüberwindung sich in der Realität ausnimmt, verdeutlicht gerade jenes so irreal erscheinende Jesus-Wort von der anderen Wange (Mt 5, 39).“ Beim Zurückschlagen (48f.)
entsteht … ein Kampf um das Recht, das womöglich beide Parteien für sich in Anspruch nehmen… Doch weißt du eigentlich, was er beabsichtigte mit seinem Tun? Und wußte er es selber? – Ein Schlag auf die rechte Wange kann nur mit der linken Hand geführt werden, die seit altersher dem Unbewußten zugeordnet wird; wäre es da nicht möglich, daß dein Gegner etwas ganz anderes wollte, als sich in seiner Tat auszudrücken scheint? … Was ging und geht da in ihm vor sich? Du kannst es nur für ihn und für dich selbst herausfinden, wenn du den Schlag bewußt, von rechts, sich wiederholen läßt. Du weißt, daß du seine Attacke nicht verdient hast, und wenn du jetzt ruhig und ohne Angst nicht deinen Rachephantasien nachgehst, sondern auf den Angreifer zugehst, klärst Du unter Umständen sein mögliches Mißverständnis auf; durch dein eigenes Vertrauen machst du ihn zu deinem Vertrauten und eines Tages womöglich zu deinem Freund und Verbündeten; in jedem Falle zeigst du ihm, daß du anders bist, als er geglaubt oder gefürchtet hat.
Eine solche Chance hätte nach Drewermann nach dem „Angriff auf die Twin Towers“ am 11. September 2001 bestanden. Aber (50) es war keines „der christlichen Kirchenoberhäupter“, das eine Reaktion im Sinne der Bergpredigt ins Spiel brachte, „der einzige, der das tat, war ein Buddhist, der Dalai Lama. Zwei Tage nach 9/11 erklärte er einer amerikanischen Journalistin auf die Frage, was jetzt zu tun sei: ‚This is a big chance for non-violence.‘ … eine große Chance für die Nicht-Gewalttätigkeit, für die buddhistische Regel des Ahimsa – des Nicht-Verletzens –, für die Antwort der anderen Wange auf einen … Angriff.“ Man hätte fragen können: „Warum hassen sie uns so? – Wie anders sähe die Welt heute aus, wäre man dem nachgegangen!“ Stattdessen (51) wurde ein „weltweite[r] und zeitlich unbegrenzte[r] Anti- Terror-Krieg … ausgerufen“, und zwar
ein asymmetrischer Krieg, ein Kampf von feigen und fanatischen Selbstmordattentätern, wie man sie nennt, gegen hochbewaffnete Spezialkräfte der Supermacht und deren ferngesteuerte Drohnen. In einem solchen asymmetrischen Krieg gewinnen die Terroristen, wenn sie nicht verlieren, die überlegene Staatsmacht hingegen verliert, wenn sie nicht gewinnt; ein solcher Kampf zieht sich hin. Man sagt nicht ganz zu Unrecht: Terror ist der Krieg der Ohnmächtigen, Krieg der Terror der Mächtigen.
Aber auch „in der Auseinandersetzung zwischen gleichstarken Kombattanten“ gilt der „Satz von der anderen Wange“. Der Satz (52) „Rosa Luxemburgs: ‚Freiheit ist stets die Freiheit des anderen.‘ … gilt als Inbegriff von Demokratie und Toleranz. In Fragen des Friedens“ stellt Drewermann fest: „Sicherheit ist immer die Sicherheit des anderen. Es gibt sie niemals für uns allein.“
↑ Kapitel II: „Entwicklung der Waffentechnik“
Nur kurz gehe ich ein (59) auf die nach Drewermann mit im „bisherigen Verlauf der menschlichen Geschichte“ immer weiter vorangetriebene
Entwicklung der Waffentechnik…: die Instrumente, einander umzubringen, wurden und werden immer mörderischer; wir selber werden dabei auf fatale Weise immer „menschlicher“, das heißt unmenschlicher, – wir entfernen uns immer weiter von den Tieren, nicht um uns zu vermenschlichen, sondern um ‚tierischer‘ als jedes Tier zu sein.
Stichworte dafür sind (64ff., 68ff., 73ff.) „Das Schwert der Bronzezeit und der Kult des Helden“, „Vom Schwarzpulver zum Napalm“ und schließlich „Selbst Atombomben sind nicht genug“.
Außerdem stellt Drewermann die Frage (88), wie sich Jesus „gegenüber der neuerdings auch in Kirchenkreisen wieder favorisierten Forderung nach einem ‚gerechten‘ (gerechtfertigten) Krieg“ verhält. Dazu geht er (89) auf die Situation des Volkes Israel im 1. Jahrhundert unter der Oberherrschaft der römischen „Unbeschnittenen“ ein, die „den geheiligten Boden Israels“ verunreinigten! Jesus wurde gefragt: „Darf man dem Kaiser Steuern zahlen und damit sein Unrechtsregime unterstützen?“, womit man ihn „als Feind der Römer denunzieren oder als Freund der Römer korrumpieren will.“ Hass schlägt Jesus entgegen, weil er sich mit Zöllnern als den „Helfershelfern der Römer, diesen Verrätern am eigenen Volke, diesen raffgierigen und korrupten Geldeintreibern zugunsten des Gegners und ihrer eigenen Tasche, demonstrativ an einen Tisch“ setzt. Und in Jerusalem (90) reitet er vor dem Befreiungsfest des Pessach „nicht als ein zweiter David, als ein Messias des Heiligen Krieges“ ein; „er hält sich an die Verheißung des Propheten Sacharja (9,9-11)“ und kommt auf einem Esel, „‚sanftmütig‘, wehrlos, gewaltfrei – nur solche werden das ‚heilige‘ Land besitzen (Mt 5,5.9). Als erste Maßnahme wird er ‚die Bogen zerbrechen‘ und ‚die Kriegswagen verbrennen‘, er wird statt der totalen Mobilmachung die totale Abrüstung ausrufen“.
↑ Kapitel III: „Moralische Aufrüstung“
Unter den Methoden, mit denen im Zuge einer Zeitenwende im Sinne von Olaf Scholz eine „moralische Aufrüstung“ erreicht werden soll, geht Drewermann (95) ausführlich auf zwei Stichworte ein: Erstens „Angstpropaganda und Sicherheitsversprechen“ und zweitens (98) die „Dämonisierung des Gegners durch die Zweiteilung in Gut und Böse“. Statt (106) das Böse zu heilen, führt „Schwarz-Weiß-Denken“ zu (110) einem „Selbstwiderspruch aller moralischen Kriegsbegründungen…: Ethische Werte … gelten für alle Menschen“ – nun aber bewertet man „einzelne Menschen“ und sogar „ganze Menschengruppen“ in ihrem Verhalten als gut oder böse, „ohne sich mit dem Verstehen der Hintergründe weiter aufzuhalten“. Gilt es aber, „die als Übeltäter und Bösewichter Identifizierten ‚auszuschalten‘ und ‚unschädlich‘ zu machen“, besagt das „in der Militärsprache so viel … wie umbringen und ermorden.“
Drewermann fragt: Sind wir in Deutschland als Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses wirklich nur auf der Seite des Guten? Wird (103) unser Volk in seiner „demokratischen‘ … ‚Freiheit‘ bedroht … von einem Feind, der mit Gewalt und Tyrannei seine nationale Identität und Kultur zerstören will“? Behauptet wird das ständig, und dann „stehen ‚geistige Werte‘ zur Disposition, dann muß man leider sehr ‚ungeistig‘ fremde materielle und kulturelle Werte zerstören, um sich selbst … unabhängig zu halten von der drohenden Übernahme durch ein fremdes Regime.“ Nach Drewermann stehen jedoch im Hintergrund unserer demokratischen Werte handfeste Interessen und letztlich (99) der „unmoralische ‚Wert‘ der Machtdurchsetzung aus Gewinngier“. Im Klartext:
Wir brauchen den Zugriff auf die Rohstoffe, Arbeitskräfte und Handelswege der ganzen Welt, weil unser Wirtschaftssystem auf einer wechselseitigen Vernichtungskonkurrenz basiert, die nur einen Sieger zuläßt, und das müssen und wollen wir sein.
Zur Begründung dieser These (103) verweist Drewermann u. a. auf einen Kommentar der FAZ <6>, in dem am 9. März 2003 „wenige Tage vor Eröffnung des zweiten Golfkriegs der USA“ Kanzler Schröders Weigerung, sich am Angriffskrieg der Amerikaner zu beteiligen, scharf kritisiert wurde:
„Wir brauchen das Imperium Americanum… Die Vereinigten Staaten müssen Hegemon der Menschheit werden.“ „Der Mensch ist dann am freundlichsten, wenn er, entwaffnet, zum Bösen keine Gelegenheit bekommt. Für diese schwierige, schreckliche, unlösbare, aber unabdingbare Aufgabe muss sich die Menschheit auf die Suche nach dem Hegemon begeben, dem einen, dem – möglichst – guten. Seine Aufgabe besteht darin, alle A-, B- und C-Waffen zu zerstören, mit List und mit Tücke und mit Waffengewalt“.
Eine solche Hegemonie als Vorherrschaft über alle Völker wurde Jesus vom Satan angeboten, der sich Jesus „in Mt 4,8-10 entschieden verweigert hat“.
Zur moralischen Aufrüstung gehört Drewermann zufolge (117) weiter die militärische Ausbildung junger Rekruten, die mit einer „Umprägung des persönlichen Gewissens von Tötungshemmung zu Tötungsbereitschaft“ einhergeht, und zwar (118) in der Unterwerfung unter „die Autorität des militärischen Vorgesetzten“. Dabei beklagt Drewermann (124) die „konsequente Entleerung des lchs“. Sie wird
nachgefüllt durch den Ersatz einer Gruppenidentifikation mit dem Gefühl, in eben dieser Einheit, nicht als Einzelner, aber als Wir, etwas Besonderes, etwas Bedeutendes zu sein. Auch so verstärkt sich das Empfinden, nichts falsch machen zu können, wenn man tut, was alle tun. Das Gruppengefühl ersetzt das Gewissen, und genau diese Haltung soll zur zweiten Natur werden.
Solchem Denken hat sich (113) in der Neuzeit z. B. Leo Tolstoi verweigert, doch schon im 3. Jahrhundert schrieb der Kirchenlehrer Cyprian <7>:
„Es trieft die ganze Erde von gegenseitigem Blutvergießen; und begeht der einzelne einen Mord, so ist es ein Verbrechen; Tapferkeit aber nennt man es, wenn das Morden im Namen des Staates geschieht.“
Anders als Martin Luther (114f.) stellte sein Zeitgenosse Erasmus von Rotterdam <8> der „Lehre vom ‚gerechten Krieg‘ … die Lehre Christi entgegen mit ihrem Wissen, daß man Rechtsstreitigkeiten niemals durch Gewalt klären kann, weil dabei stets nur ein Krieg aus einem anderen erwächst.“
↑ Kapitel IV: Passiver Widerstand gegen den „Irrsinn der Gewalt“
Klar ist jedoch nach Drewermann (142) „für einen christlich motivierten Friedensauftrag“: „man muß sich unabhängig machen von politischen Erfolgsaussichten.“ Er erinnert an den Pazifisten Martin Niemöller, der in den 50er Jahren „demonstrativ Moskau“ besuchte und dafür angefeindet wurde, an die „Deutsche Friedensunion (DFU)“, deren Vorsitzender (144) der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann war und die „damals als die Partei der ‚nützlichen Idioten Moskaus‘ beschimpft“, so wie heute „Putinversteher“ und „Friedensengel“ als Schimpfworte verwendet werden. Ein (144f.)
christlich motivierter Pazifist… will nicht innerhalb der bestehenden Regeln den „richtigen“ Zug machen, er kehrt vielmehr die Spielregeln um, – er spielt im Skatdeutsch Null ouvert, nach der Devise: wer verliert gewinnt…
Das heißt: Letzten Endes wird „jeder, der das Vorbild Jesu als vor Gott verbindlich aufgreift, … in das Schicksal Jesu eintreten. ‚Selig seid ihr…‘ sagt Jesus…, ‚wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und lügnerisch allerlei Böses gegen euch reden‘ … (Mt 5,11-12)“
Den Grünen (148) hält Drewermann „Selbstverrat“ vor, bei dem sie „nur allzu gut … begriffen“,
was für die BRD (West) seit ihrer Entstehung im Jahre 1949 gilt und sich 1989 nach der Ausdehnung auf ganz Deutschland nicht geändert, eher verstärkt hat: es darf in der BRD unter den Augen der USA keine linke oder pazifistische Regierung geben…
Nach Drewermann sind also (144) die Erkennungsmerkmale von einem „‚Friedensstifter‘ im Raum der Politik“ nach außen Konsequenz und Unabhängigkeit. Aber was (149) muß innerlich geschehen, um ein Friedensstifter im Raum der Politik zu werden (Mt 5,9)? Dazu nennt er die Stichworte „Selbständigkeit und Angstfreiheit als Bedingung passiven Widerstands“. Man muss „die Angst vor der öffentlichen Meinung aufgeben und auf sich selbst zu hören beginnen.“ Ein solcher passiver Widerstand (150) wurde von „dem tief religiösen Politiker Mahatma Gandhi <9> „die Macht der Seele“ genannt. Sie besteht unter anderem darin, sich „den Gesetzen, die von unserem Gewissen nicht akzeptiert werden können“, nicht zu „unterwerfen“ und … „mit Freude die Bestrafung für die Gesetzesübertretungen“ anzunehmen.
Wie kann nach Drewermann (151) die „‚Sanftmut‘ der Bergpredigt (Mt 5,5) gelebt werden?
Ein … Pazifist [wird] nicht ‚nur‘ die Rekrutenausbildung für sich selbst verweigern, sondern er wird alles auch im Hintergrund ablehnen, was einen Militär‚dienst‘ aus Sicht des Staates notwendig macht, – als da ist: die bürgerliche Zweiteilung in Gut und Böse, in Freund und Feind, in Gruppenzugehörige und Gegner; die Vorstellung eigener wohlerworbener oder angeborener Rechte, zu deren Wahrung der Staat bestellt sei…
So gesehen (152) ist die „Ablehnung kriegerischer Gewalt“ letzten Endes „identisch mit der Verweigerung der bürgerlichen Grundeinstellung als ganzer.“
Dabei ist nach Gandhi <10> (153f.) eine Haltung des gewaltfreien Widerstandes nicht etwa
„eine Haltung der Feigheit und der Schwäche… Wer, glauben Sie, ist wahrhaft mutig? Derjenige, der andere Menschen von der Rückseite der Kanone her zerfetzt oder der, der sich mit lächelndem Gesicht zur Kanonenmündung begibt und sich in Stücke reißen läßt? Wer ist hier der wahre Kämpfer, der Krieger? Derjenige, der stets den Tod als vertrauten Freund bei sich hat, oder derjenige, der den Tod anderer in seiner Hand hat?“
Umgekehrt sind es, wie Drewermann folgert, gerade „die seelisch Schwachen, die zur Gewalt ihre Zuflucht nehmen“, und als in diesem Sinne schwach (157) sind heute auch
die Großmachtvertreter einer imperialen Hegemonialstrategie, wie in unseren Tagen ‚unipolar‘ die USA, die der schrecklichsten und abscheulichsten militärischen Mittel bedürfen, um sich die Welt mit ständigen Abschreckungsmaßnahmen gefügig zu halten; und es sind, wie in der Bergpredigt Jesu, die „Kleinen“ (Mt 5,3; 5.7; Mk 9,33-37), die den Frieden benötigen und Gewalt vermeiden; sie verlieren, sie gewinnen nicht am Krieg.
Allerdings bleiben diese Kleinen „stumm, solange es der herrschenden Macht gelingt, genügend Angst zu verbreiten.“ Einzelne sind notwendig, „die das Bild von den Großen und Mächtigen mit ihrem Mut und mit ihrer Freiheit in Frage stellen“ und die „damit an der Seite der Mehrheit der Menschen“ stehen. „Pazifismus ist Angstüberwindung durch die Kraft des Vertrauens in Gott“. Nach Gandhi <11> gibt es daher
„für den passiven Widerstand keinen Schritt vorwärts ohne die Furchtlosigkeit. Nur diejenigen können den Weg des passiven Widerstands gehen, die frei von Furcht sind, frei von Besitz, frei von Ehren, frei von Verwandten, frei von Regierung … Sie werden einsehen, daß die zusätzlichen Anstrengungen, die ein Schwertkämpfer aufwenden muß, nur aus dem Fehlen der Furchtlosigkeit kommen. Ein Mensch, der frei von Haß ist, braucht kein Schwert.“
An dieser Stelle muss ich aus dem reinen Referat heraustreten und kritisch fragen, ob die Forderung, einen solchen passiven Widerstand zu leben, nicht doch (20) eine „Übermoral“ darstellt, die den einzelnen überfordert. Zumindest von mir kann ich sagen, dass ich weder frei bin von Furcht noch von Besitz und erst recht nicht frei von Verwandten oder anderen Menschen, denen ich in Liebe und Verantwortung verbunden bin. So bestechend folgerichtig Drewermanns Analyse der Angstbekämpfung durch Angstverbreitung auch anmutet – wäre es verantwortbar, verzichten zu wollen sogar auf ein staatliches Gewaltmonopol, das Verbrechen an Leib und Leben einzudämmen versucht?
Drewermann beruft sich auf Jesus, der im Garten Gethsemane (161) den Griff des Petrus zum Schwert zurückweist, den er unternimmt, um seinen Freund und Lehrer zu schützen. Petrus
ist gerade kein „Held“, – sein Dreinschlagen mit dem Schwert ist nichts als eine Reaktion in Angst, kaschiert freilich als eine verantwortungsethische Intervention, begangen aus responsibility to protect (R2P). … „Steck dein Schwert an seinen Ort“‘ gebietet Jesus deshalb seinem Jünger; „alle nämlich, die ein Schwert nehmen, werden durchs Schwert umkommen.“ (Mt 26,52)
Es gilt also nach Drewermann (162) von der „Gewalt“ als einem „Irrweg im Prinzip“ Abschied zu nehmen. Diesen Irrweg der Gewalt beschreibt Drewermann unter den Stichworten (163) „Von Sparta bis Amerika“ und (165) „Wider die kirchliche Theologie nach Kaiser Konstantin“. Während der Kirchenlehrer Tertullian im Jahr 211 in seiner Schrift „Vom Kranze des Soldaten“ noch jeden Kriegsdienst eines Christen kategorisch abgelehnt hatte (170), hat „die konstantinische Machtergreifung den Gott, den der Jude Jesus uns bringen mochte, in den Kriegsgott der Völker zurückverwandelt“. Wenn auch heute wieder (175), wie Kanzler Scholz sagt, „die Menschen in der Ukraine nicht nur ihre Heimat …, sondern unsere gemeinsamen Werte: Freiheit und Demokratie“ verteidigen, müssen wir fragen: Kommen solche Werte von Gott?
Wenn es absolute Werte im politischen Bewußtsein der Regierenden gar nicht gibt, wie soll sich dann ein militärisches „Eingreifen“ der Nato moralisch rechtfertigen lassen? Wenn es keine vorgegebenen (göttlichen, metaphysischen oder natürlichen) Werte gibt, sondern lediglich gesellschaftlich bzw. sozialpsychologisch sich ergebende Bewertungen, verbleibt eigentlich nur die Aufgabe, das jeweilige Ergebnis des kulturellen Diskurses, eben das sich durchsetzende Narrativ, als richtig zu rechtfertigen. Das aber ist dann sicher nichts weiter als eben: ideologische Propaganda.
Dagegen betont Drewermann (176): „Niemals ist nur der Gegner schuldig“.
↑ Kapitel V: Der Götze Mammon als „der Nerv des Krieges“
Warum, so fragt Drewermann zum wiederholten Male (185), rüsten wir immer noch auf, wenn wir im Grunde keinen Krieg wollen, und (186) warum sind „Demokratien nicht grundsätzlich friedfertiger als Diktaturen“? Dafür hatte er einen psychologischen Grund angeführt: „Angst. Sie treibt im Wechsel von Verteidigung und Angriff in immer neue aggressive Auseinandersetzungen.“
Als den Hauptgrund für die Unaufhörlichkeit der Kriege nennt er jetzt jedoch den Götzen Mammon (203): „Geld ist der Nerv des Krieges!“ und fährt erläuternd fort (204): „Auch das erklärt die Bergpredigt jedem Geschäftsmann und Politiker: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon! (Mt 6,24)“
Ursprünglich (205) ist Geld „ein universales Tauschmittel“, das die Mühsal des „Tauschhandels in Naturalien“ erspart. Aber (206): „Da Geld auf dem Markt als Kaufmittel ‚alles‘ (jede beliebige Ware von entsprechendem Wert) zu bedeuten vermag, verwandelt es sich selber in etwas Allbedeutendes“ und führt „wie von selbst zu der Entwertung aller Werte.“ Und wenn man „Geld von vornherein zur Geldvermehrung einsetzt“ (207), entsteht das Kapital, nämlich Geld als bloßes Mittel, „um mit Geld noch mehr Geld zu ‚machen‘.“ Wer (208) „Produktionsmittel besitzt, an denen er seine Arbeiter Warenwerte herstellen läßt“, erwartet, „mit dem Verkauf der hergestellten Waren weit mehr einzunehmen, als er an Löhnen und Produktionskosten ausgeben muß.“ Und wenn er außerdem noch „Zugriff auf möglichst billige Rohstoffe“ hat, kann er die Kosten noch mehr senken und den Gewinn steigern. In diesem Zusammenhang geht Drewermann (209) auf heute notwendige Bodenschätze ein „(Aluminium, Bauxit, Coltan, Lithium, Seltene Erden etc.) zur Entwicklung von Drohnen, Handyakkus, Elektroautos oder Chips“. Es ist Neokolonialismus, wenn mächtige Nationen Wirtschaftskriege „gegen nichtwillfährige Regierungen mittels einer erpresserischen Sanktions- und Embargo-Politik“ führen oder „die direkte Absetzung von Regierenden“ betreiben. So ordnet Drewermann auch ein, was „in der Ukraine bei dem Maidan-Putsch 2014“ geschehen ist.
Über (217) „die psychologische Verführungskraft des Götzen Geld“ sagt Drewermann: „Wenn wir selbst nichts sind, bleibt uns nichts anderes, als uns einen Wert durch den Besitz von Geld zu verschaffen. Unser Nichts an Sein muß kompensiert werden durch ein Alles an Haben“. Dazu verweist Drewermann auf Erich Fromm, „der die Alternative von Sein und Haben zum Grundthema der Nekrophilie unserer kapitalismuserkrankten Kultur erklärte.“
Eng zusammen hängt (219) der „Götzendienst des ‚Mammon‘“ mit dem, was Drewermann „Daseinsschuld und Opferzwang“ nennt, „der Schuld jedes Einzelnen inmitten der ihn umgebenden Natur“. Damit meint er erstens (220): „Die Natur braucht uns nicht, in ihr sind wir überflüssig“. Und zweitens (221): „Wir sind bereits im Unrecht dadurch, daß wir sind; wir werden schuldig schon durch die einfache Grundbefindlichkeit unseres Daseins, nur durch das Töten anderen Lebens am Leben bleiben zu können.“ Dafür wird „in so gut wie allen alten Kulturen“ eine „Wiedergutmachung“ in Form „des Opfers“ praktiziert. Dieses Denken ist in der Moderne nicht etwa überholt, denn (223) das „Schuldprinzip“ herrscht auch im „Geldsystem“, in dieser „künstlichen ‚Natur‘, die wir … als Basis unseres kulturellen Aufstiegs eingerichtet haben“. Statt Göttern rücken (223f.)
menschliche Herrscher über das Wirtschaftsleben eines Gemeinwesens in die gottgleiche Position von Entscheidungsträgern über Leben und Tod ein. In jedem Fall befinden wir uns im Umraum des Geldes, das wir nicht selber besitzen, in der Position von Schuldigen, die mit Opfern die Tatsache ihrer Existenz wiedergutmachen müssen.
Am (224) „klarsten ablesbar“ ist dieser „Übergang von metaphysischer, moralischer und wirtschaftlicher ‚Schuld‘“ daran, dass „die ersten Gotteshäuser als Opferstätten von Tieren und Menschen zugleich auch die ersten Bankhäuser“ waren. Nach Walter Benjamin <12> setzten aber (224f.), „die alten Religionen ihre Opferriten immerhin zum Abbau von Schulden ein“, während „das kapitalistische Wirtschaftssystem nur durch Wachstum Bestand haben“ kann. „Es muß in immer kürzerer Zeit in Produktion, Warenumsatz und Geldbesitz expandieren… Daher besteht sein Prinzip gerade nicht im Schuldenabbau, sondern geradezu apokalyptisch in der Vermehrung der Schuld(en).“
Daraus zieht Drewermann den Schluss (226): „Solange wir dem Götzen Mammon dienen, kann es Frieden nicht geben.“ Der „entscheidende Beitrag der Religion zum Frieden“ ist daher, auf dem „Eigenwert des Einzelnen“ zu bestehen:
Jesus streichelte in seinen Worten und in seinen Werken das Bild eines strafenden Gottes den Menschen aus der Seele und ersetzte es durch den Glauben an einen Gott, der in väterlicher Güte alle Schuld vergibt.
Im „Schöpfungsglauben Israels“ (226f.) will
ein gütiger Gott …, daß der Mensch sei; die menschliche Existenz muß nicht länger einer ebenso blinden wie teilnahmslosen Natur abgetrotzt werden, sie kann erlebt werden als ein Geschenk. Dankbarkeit – nicht Schuld, Vertrauen – nicht Opfer, Erfüllung – nicht Wiedergutmachung kennzeichnen prägend dieses neue Seinsverständnis.
Wer auf diesen Gott vertraut, beantwortet nicht „die Not eines anderen, statt mit Hilfsbereitschaft und tätiger Unterstützung, … mit der Chancenberechnung möglicher Geldgeschäfte“. Das aber bedeutet „den Zusammenbruch des gesamten kapitalistischen Wirtschaftssystems.“
Eigentlich müsste man, was der Deutsch-Argentinier Silvio Gesell <13> „in seiner Freigeldtheorie“ vorgeschlagen hat, „dem Geld in bestimmten Zeiten ein ähnliches Verfallsdatum“ zuschreiben wie anderen Waren, um den „Erpressungsvorteil der Geldbesitzer gegenüber den Warenhändlern“ zu unterlaufen. Aber selbst das geht Drewermann nicht weit genug (228), macht es doch „den Kapitalismus als Wirtschaftsform“ nur „krisenfester“. Jesus dagegen verurteilt in der Bergpredigt mit dem Satz: „Wer braucht, dem gib“ (Mt 5,42) „nicht nur die verhängnisvollen Aussichten auf Zinsgewinne“, sondern er „macht das einfache Preisgesetz von Angebot und Nachfrage in sich selbst zunichte“. Jesu Wort „ist das Gegenteil von: Erhöhe bei höherem Bedarf die Preise für dein Warenangebot!“ Erst durch eine solche radikale Umkehr ist „ist das Geld kein Götze mehr“, der (230) letzten Endes die „Kriegstreiberei“ anfeuert.
Auch hier finde ich zwar Drewermanns Analyse überzeugend, aber da er, wie sich gleich zeigen wird, jede Antwort auf die Frage nach politischen Konsequenzen schuldig bleibt, überlässt er anderen die Suche nach gangbaren Wegen der Verwirklichung der so einfach klingenden Forderungen Jesu in der Bergpredigt. Und den mühseligen politischen Wegen einer marktwirtschaftlichen Zähmung des Kapitalismus würde er vermutlich von vornherein eine grundlegende Absage erteilen.
↑ Kapitel VI: Die „Bergpredigt als Weg zum Frieden“
Drewermann sieht (236) die „Bergpredigt als Weg zum Frieden“, indem Menschen es wagen, „jenseits von Angst, Gewalt und Gier“ zu leben. Dabei müssen zwei Teufelskreise vermieden werden, erstens (242) „die prinzipielle Unzulänglichkeit eines nur politischen Denkens“, die er folgendermaßen belegt (242f.):
Wer irgend ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine fordert, um das grausige und zynische Abschlachten von Menschen zu stoppen, wird vorgehalten bekommen, daß ja „Putin“ „angefangen“ habe; wer sich dafür ausspricht, keinen „Siegfrieden“ anzustreben, sondern sich endlich an den Verhandlungstisch zu setzen und die Interessen beider verfeindeter Parteien zusammenzuführen, dem wird entgegengehalten, man dürfe mit Rußland erst reden, wenn es vom ukrainischen Boden vertrieben worden sei; und wer den Ukraine-Krieg gar als einen Stellvertreterkrieg zur Zerstückelung und Schwächung Rußlands mit dem Ziel einer globalen Machtausdehnung der USA beurteilt, wird als „Querdenker“, als Vertreter russischer Propaganda- Lügen und als Verteidiger des Massenmörders Putin diffamiert…
Zweitens spricht Drewermann daher (245f.) vom „Ungenügen auch des nur Moralischen“. Alle „moralisch vorgebrachten Begründungen in Richtung bestimmter programmatischer Festlegungen [sind] aus ihrer propagandistischen Verwendung herauszulösen und auf ihren ernstgemeinten und ernstzunehmenden Inhalt hin zu überprüfen.“ „Es geht also darum, das Modell des vertraglich gesicherten inneren Friedens eines Volkes auf die Beziehung zwischen den Staaten auszudehnen, im Sinne eines ‚freien Föderalismus‘, der sich nach Maßgabe der Vernunft mit dem Völkerrecht verbindet…“ Diese schon von Kant in seiner Schrift „Vom ewigen Frieden“ vertretenen Auffassung widerspricht der sogenannten
„wertebasierten“ westlichen Weltmachtpolitik als eines Mittels zu Frieden und Freiheit… Die Idee bereits einer zentralen Ordnungsmacht, die – etwa in Gestalt der USA – als Weltpolizist auftritt, verwandelt die Grundlage aller Moral: das Prinzip der Freiheit, in ein Diktat äußerer Macht, deren Inhalte mit der Durchsetzung der eigenen Rechts- und Ordnungsvorstellungen identisch sein sollen.
Das heißt (254):
Um Frieden zu ermöglichen, bedarf es einer Verringerung der Angst angesichts der Ungesichertheit des menschlichen Daseins; doch gerade dazu ist weder die Politik noch die Ethik imstande: die eine antwortet auf Angst mit Angstverbreitung und verschlimmert das Problem dadurch noch in Gestalt immer schrecklicherer Kriege, die andere erzeigt sich außerstande, die Folgen einer fehlgeleiteten Angstverarbeitung mit den Mitteln moralischer Selbstkontrolle abzutragen.
Welche Lösung empfiehlt Drewermann? Allein eine „Religiosität, wie sie die Bergpredigt empfiehlt und als Erlösung anbietet“ ist imstande, „die Kriegsproblematik durch Vermittlung eines angstbesänftigenden Vertrauens zu überwinden“. Schon Kant <14> hat „in seiner Lehre von den ‚Postulaten‘“ die „subjektive Unmöglichkeit eines wahrhaft sittlichen Verhaltens ohne die Voraussetzung des Glaubens an Gott, an die Unsterblichkeit und an die Freiheit“ gesehen.
Und so beschreibt Drewermann (255) folgendermaßen die „rettende Notwendigkeit des Religiösen“. Dazu gehört, dass „die Kirchen sich von ihrer Konstantinischen Selbstverfälschung endlich“ lösen. Zwar (256) kann die „‚Revolution‘ des Jesus aus Nazareth … nicht ‚von oben‘ herab verordnet werden; sie besteht ja gerade darin, die Welt ‚von unten‘ zu betrachten und die Perspektive der ‚Kleinen‘ … einzunehmen“. Aber diese Perspektive gilt letzten Endes „auch im Allgemeinen“. „‚Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das Licht der Welt‘, sagt Jesus … zu seinen und von seinen Jüngern (Mt 5,13.14); sie könnten und sollten das Leben vor innerer Fäulnis bewahren und in die Aussichtslosigkeit und Seelenumdüsterung der Zeit Licht und Hoffnung bringen. — Der Kern von allem ist dabei die Umwandlung von Angst in Vertrauen.“
Von daher kann das christliche Gewissen gängigen Thesen wiedersprechen (258ff.):
„Wir müssen aufrüsten.“ – Nein…, wir müssen der wechselseitigen Angstverbreitung durch Abrüstung entgegentreten und die freiwerdenden … Ressourcen einsetzen zur Überwindung der vielerlei Formen von Unrecht, Elend und Verzweiflung…
„Wir müssen unsere militärische Macht maximieren und mobilisieren, um abschreckend zu wirken und unsere Sicherheit zu wahren.“ – Nein…, wir müssen im Gegenteil begreifen, daß es Sicherheit für uns nur gibt in der Sicherheit des anderen…
„Wir müssen wehrhaft bleiben…“
Dazu betont Drewermann die kategorische Gültigkeit des Gebots „Du sollst nicht töten“ (Ex 20,13) und beklagt die „hanebüchene Schizophrenie, mit der bereits das Alte Testament gräßliche ‚göttliche‘ Befehle zum Genozid an ganzen Völkern“ verzeichnet hat. Nur Jesu neues „‚Gebot‘ der Bergpredigt: ‚Liebet eure Feinde‘“ (Mt 5,44) nimmt den Sinn der Zehn Gebote angemessen auf.
„Aber wir müssen doch den Bösewichtern das Handwerk legen…“ – Nein…; wir müssen aus dem Teufelskreis von Angst und Gewalt uns ein für allemal befreien, indem wir die Gründe zu verstehen suchen, die den anderen, unseren Gegner, dahin gebracht haben, etwas zu tun, das moralisch in der Tat als so böse zu bewerten ist wie z.B. der ‚Angriffskrieg‘ gegen die Ukraine…; es bleibt bei der Weisung Jesu: „Leistet dem, der euch Böses tut, keinen Widerstand“ (Mt 5,39)
„Aber wir müssen doch den Bösen bestrafen, sonst kann er ja folgenlos machen, was er will!“ – Nein… Wir alle leben einzig aus Vergebung und Erbarmen. „Richtet nicht!“ (Mt 7,1) Wer dieses Schlußwort der Bergpredigt begreift, für den gibt es nicht mehr die Strafjustiz des Staates, und noch weniger gibt es für ihn die Strafaktion eines ‚gerechten‘ Krieges.
„Aber ihnen gehörten doch ihre Häuser und Ländereien! Es war ihr Recht, sie mit allen Mitteln behalten zu wollen.“ – Nein… Wenn unser ganzes Leben ein Geschenk ist, so gibt es überhaupt keine Rechtsansprüche auf ein „Eigentum“, das wir gewaltsam zu verteidigen hätten; vielmehr gilt: „wer dir deinen Rock nehmen will, dem laß auch noch (freiwillig, von dir aus!) den Mantel.“ (Mt 5,40)
Kann ein „Mensch, der, wie Jesus selber, an die Auferstehung glaubt…, vor Gottes Richterstuhl hintreten wollen mit der Erklärung: ‚Ich mußte meinen Mitbruder umbringen, weil es mir so befohlen wurde…‘“ oder „weil mein Leben mir wichtiger war als das seine…?“
„Doch die Welt ist ja nicht pazifistisch! Die Welt aber ist doch nicht christlich!“ – Richtig… Doch daraus ergibt sich nicht, wie Luther vermeinte, eine Begründung dafür, dem Staat das Recht zuzugestehen, Kriege zu führen gegen die Nicht-Christen (Türken; Papisten, rebellische Bauern …) …
„Aber das geht ja nicht! Was soll ein Einzelner schon erreichen gegen so viele andere?“
Dagegen konstatiert Drewermann (264):
du verlörest dich selbst, wenn du als Christ das Gegenteil tust von dem, was dir Christus gebot, als er seinem Jünger befahl, das Schwert (ein für allemal) wegzustecken (Mt 26,52). Der Weg der Gewalt bringt dich selber um, womöglich nicht sogleich physisch, wohl aber ganz gewiß geistig. Nur im Frieden bewahrst du dich selber – als Mensch und als Christ. Nur wenn du nicht tötest, lebst du. … Du mußt dich entscheiden … zwischen Jesus und dem Barabbas (Mk 15,6-10), zwischen Güte und Gewalt, zwischen dir selbst als Person und deiner Verformung zu einer seriellen Funktion im staatlich organisierten und staatlich angeordneten Getriebe des Tötens.
Drewermanns Buch bewegt mich, fordert mich heraus, die Teufelskreise von Angst, Gewalt und Mammon im Auge zu behalten und dem Bergprediger noch genauer zuzuhören. Aber kann Religion als Rezept ausgestellt werden, um jeden Menschen von seiner religiösen Unmusikalität oder gar von seiner Angst zu heilen? Und kann es nicht doch auch notwendig sein, sich die Hände schmutzig zu machen, um einem „Rad … in die Speichen zu fallen“ (D. Bonhoeffer), das die Menschlichkeit überrollt?
↑ Anmerkungen
<01> Eugen Drewermann, Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende, Ostfildern 2023. Die im diesen Text in runden Klammern (…) angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die jeweils folgenden Zitate aus diesem Buch.
<02> Drewermann zitiert dazu Max Weber: Der Beruf zur Politik (1919), in: Soziologie – Weltgeschichtliche Analysen – Politik, Stuttgart 1968, 177-185, bes. S. 174-175: „Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein.“
<03> Drewermann zitiert Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena, 2. Bd. (1850), Kap. 9: Zur Rechtslehre und Politik, § 124, in: Sämtliche Werke, Bd. VI, 259-260.
<04> Dazu verweist Drewermann auf Immanuel Kant: Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen (1797), in: Werke VIII, 635-643; vgl. Immanuel Kant.: Zum ewigen Frieden (1795), Werke XI, 229.
<05> Drewermann zitiert Arthur Schopenhauer: Preisschrift über die Grundlage der Moral (1840), in: Sämtliche Werke, IV, 222-223.
<06> Drewermann zitiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9. März 2003, S. 11, nach Michael Lüders, Die scheinheilige Supermacht, München 2021, 123-124.
<07> Drewermann zitiert Caecilius Cyprianus: An Donatus (ca. 245), 6, in: BKV Bd. 34, S. 45.
<08> Dazu verweist Drewermann auf Erasmus von Rotterdam: Die Erziehung des christlichen Fürsten, 11. Kap., in: Schriften, Bd. 5, 339-357, S. 343; vgl. ders.: Die Klage des Friedens, in: Schriften, Bd. 5, S. 361-451, wo Erasmus auf die physischen und moralischen Schäden eines jeden Krieges hinweist (S. 433-439).
<09> Drewermann zitiert Mahatma Gandhi: Hind Swaraj or Indian Home Rule (1919), in: „Indian Opinion“, Südafrika; dt.: Wege und Mittel, Baden-Baden/Zürich 1996, 109-112.
<10> Ebenda, 112-113.
<11> Ebenda, 117.
<12> Drewermann zitiert Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion (fr. 74), in: Gesammelte Schriften, Bd. VI, Frankfurt a. M. 1985, 100.
<13> Drewermann zitiert Silvio Gesell, Die natürliche Gesellschaftsordnung (1920), in: Gesammelte Werke, Bd. 11, Hann.-Münden-Lütjenburg 2000, 179-181.
<14> Drewermann zitiert Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788; in: Werke in zwölf Bänden, VII, 252-254; 254-264.
Guten Tag, Herr Schütz, danke für Ihre Worte zu Drewermanns Gedanken. Meine Möglichkeit, eine intellektuelle Redlichkeit (Kant) anzustreben, kommt aus meiner eigenen Lebenserfahrung, seit meinen Kindertagen bin ich durch eine eigene Entscheidung (ähnlich Blechtrommel Grass) 80 Jahre durch einen selbst erzeugten, mich selbst verneinenden Lebenswiderstand behindert gewesen, zufrieden mit meinem Leben zu sein. Durch meine seit vielen Jahren betriebene Erforschung des buddhistischen Heilsweges ist es mir gelungen, meinen selbst erzeugten Lebenswiderstand zu überwinden. Mein dabei für mich zu erlebendes Bewusstsein ist mir zugänglich geworden, Jesus ist nur ein anderes Wort für Bewusstsein. Dieses Bewusstsein ist in allen Menschen vorhanden. Zusätzlich habe ich mich mit der neurowissenschftlichen Betrachtung von Th-Metzinger bekannt gemacht und bin wie er zu der Meinung gekommen, Religionen als religiöse Wahnsysteme zu verstehen, es geht bei Jesus nicht darum, an Jesus zu glauben, sondern in der Nachfolge seinem Beispiel zu folgen.
Mit Zazen ist mir möglich geworden, auf jegliches Glauben zu verzichten, wozu soll ein Glaube dienen, obwohl ich doch selber der Körper bin, in dem alles was das Leben, das leben will (A. Schweitzer) vorhanden ist, zu erforschen, zu erkennen und WAHR ZU NEHMEN ist. Was braucht es da noch an etwas zu glauben, ich bin es selbst, dieses Bewusstsein, in dem das JETZT sich ereignet.
Das gesamte hochtheologische Kunststückchen Denken ist nichts anderes als eine „Goldene Kalb Anbetung“, wodurch der Weg in die Einheit hochtheologisch seit Jahrhunderten vermint ist, mit Scheiterhaufen und Co.
Von daher und meiner Evidenz-Erfahrung, dass das Werte-Denken, wie schon in der Paradies-Fabel, als Verbot bekannt ist und vor dem Teuflischen des dualistischen Denkens warnt, kann kein Theologe bemerken, weil im dualistischen Denken versoffen, ebenso das Abraham-Opfer in seinem Sohn, alles seine dualistische Werte zu opfern, wird mit theologischen Denkwürmern umrankt.
Selig sind die im Geiste Armen, was ich durch Zazen mir angeeignet habe und von daher die Selig-Preisungen verstehe, sie beschreiben, was das Leben ist, das leben will und von daher ist Drewermanns Aufruf, eine Aufforderung, endlich mal zu kapieren, nur im JETZT findet das Leben statt.
Von mir und meinem selbstreferenten Bewusstsein ohne „ich will- und ich will nicht-Denken“, mit überwundenen Anhaftungen und der seit Jahrhunderten angesammelten Vorurteile, wenn als Beispiel angenommen, kann es tatsächlich eine Umkehr aus dem dualistischen Weltbild mit der Folge gegenwärtiger CO2 Erdkrise kommen.
Mit freundlichen Grüßen Burkhard Seese